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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0316
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312 | II. Die Abtei von Marchiennes

maßten zudem, dass Wilhelm weder an Kopf noch am Hals Verletzungen davon
trug, weil er diese Körperteile zuvor vielfach mit dem Kreuzeszeichen versehen
habe.1263 Durch die Kraft des Kreuzes, aber auch durch die Fürsprache der heiligen
Rictrud sei er letztlich vor dem Tod bewahrt worden. Die Fürsprache der letzteren
sei ihm zuteil geworden, da er kurz zuvor mit den anderen Brüdern vor dem Altar
die trina oratio gesprochen und dabei bei der Heiligen Gehör gefunden habe.1264
Der verletzte Bruder wurde schließlich mit großen Schmerzen auf der rechten Seite
und am rechten Arm in den Krankentrakt des Klosters gebracht. Die Brüder, die
bis zum morgendlichen Kapitel warten wollten, ermahnten Wilhelm, der jede Hoff-
nung auf das Leben und seine Genesung verloren hatte, friedlich und geduldig zu
bleiben, und rieten ihm am Grab der heiligen Rictrud zu beten.1265 Da der Verletzte,
wie Galbert bemerkt, nicht einer jener Brüder war, der die Gebote seiner Mitbrüder
missachtete, hielt er im Geheimen Zwiesprache mit der Patronin von Marchiennes
und erhielt dadurch seine Gesundheit wieder zurück. Von da an stellte er sich Zeit
seines Lebens in den Dienst der Heiligen.1266
Die Geschichte Bruder Wilhelms hat einen stark exempelhaften Charakter. In
ihrem Zentrum stehen letztlich die correctio und animadvertio dieses Priester-
mönchs. Wilhelm ist nach Galberts Darstellung vordergründig ein guter und from-
mer Bruder. In seinen Werken habe er sich gerecht verhalten und sei zudem, wohl
durch sein Priesteramt, nützlich für die Gemeinschaft gewesen. Davon war der
Bruder auch selbst überzeugt. Dies scheint durch, betrachtet man Galberts Schilde-
rung des Unfalls nicht auf der literalen Ebene, sondern auf der moralischen. Damit
bekommt Wilhelms Gang von der Kirche zur Latrine eine ganz andere Bedeutung.
Galbert sieht darin den Heilsweg symbolisiert. Wilhelm war der Meinung, auf dem
1263 Zur besonderen Wirkkraft des Kreuzeszeichen in den Werken Gaberts vgL auch Galbert, Patrocinium,
c. 3, S. 147E.
1264 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 130E: »Super his idem Frater signa creberrima in fronte media seu affinitate
proxima gutturis & colli faciebat, quibus ad congruam interpretationem Fratrum, capite innuens, sanct§
Crucis per virtutem, perque B. Rictrudis intercessionem, sese de praesenti mortis angustia ereptum
designabat: cujus rei munitionem paulo ante trina oratione coram altari cum Fratribus, sicut moris est,
post Completorium imploraverat.«
1265 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 130F: »Cujus dolori, maxime dextri lateris ac brachii dextrae partis, super
quae ceciderat & quae plurimum plangebat, compatientes; correptum inter brachia Fratres, in cellam
infirmorum deduxerunt, vel potius vix incessui aptum detulerunt, eumq; plangentem ac dolentem, nec
in vita vel salute spem plene habentem, lecto molliori humanitus composuerunt. Soliciti tarnen servare
unitatem spiritus in vinculo pacis, prout monent scripta Apostoli, crastinam collocutionem expectantes,
eum vota precesque B. Rictrudi ante sacrum ejus sarcophagum deferre invitaverunt; ibique corporis
recuperandam ac restituendam sanitatem, si devote exoraret, benignissime commonuerunt. «
1266 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 131A: »Ille vero haud segnis executor pr^ceptorum Fratrum, prout potuit,
quantocius secretum B. Rictrudis Colloquium expetiit; ibique cum ea, velut in secreto thalami, vix biduo
aut triduo de necessaria re agens, salutem obtinuit; ac desideratam filiae Regis gloriam secum ab intus
retulit; Deoque & B. Rictrudi, adjuncta Fratrum caterva, benedixit; sibique serviturum, quoad viveret,
fidelius ac devotius salutifero foedere spopondit.«
 
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