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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0321
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5. Die zeitgenössischen Texte als Überreste der correctio | 317

ihn zurück nach Marchiennes. Wie es dazu kam, übergeht Galbert in dieser Ge-
schichte, wohl weil er eben dies bereits in seinem Prolog thematisiert hat.1282
Im vierten Kapitel wird vielmehr eine zweite correctio beschrieben. Nachdem
Galbert nämlich endlich nach Marchiennes zurückgekehrt war, um sich in den
Dienst seiner Heiligen zu stellen, verließ er das Kloster schon bald erneut. Wie be-
reits in seiner Jugend zog er aber das weltliche Wissen dem spirituellen Bereich vor,
wodurch sein Weggang von Marchiennes erneut zu einer nicht tragbaren Situation
wurde. Seine Erkrankung war freilich nichts anderes als eine ernsthafte Warnung,
die auf die Besserung Galberts abzielte. Das weltliche Wissen konnte ihm nicht
helfen, wohl aber das fromme und ernst gemeinte Gebet. Weder das Interesse an
der Welt noch der Klerikerstand, sondern allein der Dienst am Kloster und an der
Heiligen konnten zum Heil führen.
Diese Denkweise war aber keinesfalls nur für Galbert selbst von Bedeutung,
sondern für alle Mönche, die in Marchiennes die Profess abgelegt hatten. Gerade
vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen der Abtei von Anchin und der
Abtei von Marchiennes ist die in dieser Geschichte verborgene Aussage nicht un-
interessant: Auch wenn die Mönche von Anchin großen Anteil und Verdienst an
der Wiederherstellung der Gemeinschaft von Marchiennes hatten, sind sie letztlich
nicht die Diener der heiligen Rictrud. In den Worten Galberts waren sie keine civesy
sondern lediglich hospites des Klosters.1283 Galbert nimmt hier also auf subtile Wei-
se eine klare Trennung vor, die zum einen von der stark identitätsstiftenden Wir-
kung der Klosterpatronin zeugt und zum anderen belegt, dass man in Marchiennes
durchaus darauf bedacht war, die eigene kollektive Identität gegenüber Anchin zu
wahren und sich womöglich von dem großen Nachbarn zu emanzipieren.
In seinen Werken hebt Galbert die Zugehörigkeit zur heiligen Rictrud hervor,
schlägt zugleich aber auch immer wieder äußerst kritische Töne gegen das benach-
barte Anchin an. So wird beispielsweise im Patrocinium das Regiment des Mund-
schenks Hugo von Anchin als inhumaniter bezeichnet.1284 Auch die späteren Kon-
flikte zwischen Marchiennes und Anchin, sei es um die Fischereirechte oder die
Wahl des Abtes, sind auf Spannungen zurückzuführen, die sich in Galberts Werken
und nicht zuletzt in seinem Denkmodell über das Verhältnis der Professmönche aus
Marchiennes und ihrer Heiligen im Ansatz fassen lassen.1285

1282 Vgl. dazu Galbert, Miracula, Prolog, §4-7, S. 121C-122E
1283 VgL dazu das Wunder Rainers, siehe oben S. 313.
1284 Sieh oben Anm. 1223.
1285 Zum Streit um die Fischereirechte vgl. B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, D 7, S. 105-106; zum Streit
um die Besetzung des Abtstuhls von Marchiennes vgl. Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 8, ep. 339,
S. 279-280 und S. Vanderputten, Time of Great Confusion, S. 66-73.
 
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