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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0328
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324 | II. Die Abtei von Marchiennes

Beispiel Hiluins. Die offensichtliche Parallele zwischen ihm und Wilhelm war von
Galbert mit Sicherheit gewollt und wurde von einem aufmerksamen Leser durch-
aus verstanden. Für die Mönche war die Geschichte Hiluins ein Trost, da sie ihnen
deutlich zeigte, dass auch der größte Tyrann letztlich mit der »Rache« der heiligen
Rictrud zu rechnen hatte.
Die Miracula Sanctae Rictrudis Galberts von Marchiennes dürfen mit ihren
zahlreichen Strafwundern ebenfalls als wichtiger Teil der correctio des Klosters an-
gesehen werden. Mit diesen Geschichten stellte Galbert nicht nur erneut die Wirk-
kraft der heiligen Rictrud und ihren Einsatz für das Kloster unter Beweis, sondern
trug auch zur Stärkung der klösterlichen Identität bei. Gerade in Anbetracht der
Tatsache, dass Abt Amands Restitutionspolitik durch die Krise von 1127 beträcht-
lich gestört wurde und das Kloster nicht mehr mit dem Schutz des Grafen oder der
Vögte rechnen konnte, kommt diesem Text eine bedeutende Rolle zu, da er letztlich
den monastischen Leser zu Gottvertrauen aufrief und die Gemeinschaft dadurch
nach innen und außen hin stärkte.
Galberts Miracula waren somit eine geistliche Waffe gegen die Übergriffe der
weltlichen Herren, da seine Deutungen zeigen, dass die Heilige jedes Verbrechen
straft und rächt. Dieses Denkmuster wird in den Miracula auch in umgekehrter
Weise angewandt: Wer einen furchtbaren Tod starb, wen ein Unfalltod ereilte oder
wem andere schwere Schicksalsschläge widerfuhren, muss Schuld auf sich geladen
haben. Auch wenn die Ungerechtigkeiten dem menschlichen Auge verborgen blei-
ben oder noch nicht bekannt sind, Gott und die Heilige kennen sie und bestrafen
sie mitunter grausam. Diese Denkweise lässt erkennen, welche Macht der Feder
Galberts zukam, verlieh sie ihm doch die hohe Autorität der Auslegung.1306

1306 H. Platelle, Crime et chätiment, S. 181: »C’est cette conviction inebranlable qui leur permettait de
depasser les apparences immediates et de raconter sur un ton triomphant des histoires qui n’etaient
qu’une longue suite d’echecs, mais qui aboutissaient toutes ä ce chätiment reparateur.«
 
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