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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0329
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6. Die correctio von Marchiennes: Folgerungen
Das Beispiel der Abtei von Marchiennes beleuchtet das Phänomen der correctio auf
besonders eindrückliche Weise, was nicht zuletzt in der äußerst guten Quellenlage
begründet liegt. Die correctio selbst lässt sich in drei Phasen einteilen: Ihren Anfang
nahm sie bereits unter Abt Fulchard, der hierfür die Unterstützung des Bischofs
und des weltlichen Umfeldes genoss, aber letztlich an der prekären Situation schei-
terte, die sich aus dem Weggang der Brüder und dem Konzil von Reims ergab. Sein
Vorhaben wurde nun ins Gegenteil verkehrt und endete mit einer Anklage wegen
schlechter Führung. Diese erste Phase der correctio macht deutlich, wie abhängig
Erfolg oder Misserfolg einer correctio von der Unterstützung des sozialen Umfel-
des, aber auch spezifischer Situationen war. Nicht zuletzt lässt die gescheiterte cor-
rectio Abt Fulchards aber auch erkennen, wie stark politisch motiviert der gegen-
über den Mönchen geäußerte Vorwurf der irreligiositas war. Die zweite Phase der
correctio beginnt mit dem Amtsantritt Amands von Castello 1116: Seine correctio
darf als umfassend bezeichnet werden, galt es doch nicht nur die Gebäude des Klos-
ters wieder nutzbar zu machen, sondern auch mit einer gezielten Restitutionspoli-
tik, die wirtschaftlichen Grundlagen der Gemeinschaft wiederherzustellen. Zudem
musste Amand nicht nur neue Mönche rekrutieren, sondern auch die geflohenen
Brüder in die neu etablierte Gemeinschaft integrieren und sie spirituell unterwei-
sen und festigen. Amands correctio wurde sowohl vom Bischof, als auch in hohem
Maße vom Grafen von Flandern getragen, der hierin nicht zuletzt eine geeignete
Möglichkeit sah, in bestehende Herrschaftsstrukturen einzugreifen. Unterstützung
erhielt Amand auch aus seinem Herkunftskloster Anchin: Neben Hilfestellungen in
ganz alltäglichen Dingen ist hier vor allem ihre Vorbildfunktion für das klösterliche
Leben zu nennen. Die Brüder aus Marchiennes erlernten das klösterliche Leben
zunächst durch das docere verbo et exemplo und erhielten schließlich aus Anchin
auch eine Handschrift mit dem ordo cluniacensis und seinen auf dem Generalkapi-
tel von 1131 beschlossenen Abänderungen. Die dritte Phase der correctio beginnt
1127/28 nach der Ermordung Karls des Guten: Die Gemeinschaft, deren correctio
noch bei weitem nicht abgeschlossen war, erfuhr eine schwere Krise, die in erster
Linie wirtschaftlich stark zu spüren war.
Das Beispiel von Marchiennes zeigt somit auf sehr eindrückliche Weise, dass
das Phänomen der correctio nicht allein auf die Beziehungen zweier Abteien redu-
ziert werden darf, sondern das gesamte Beziehungsgeflecht einbeziehen muss, das
zwischen einem Kloster und seinem sozialen Umfeld bestand. Die correctio eines
Klosters kann daher nicht mehr mithilfe des Filiationsmodells beschrieben werden.
 
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