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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0369
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4. Abt Hermann und die Krise des Martinsklosters | 365

Martinskloster in eine schwere institutionelle Krise. Diese begann im Innern mit
dem Nachlassen der Disziplin und insbesondere mit der Aufgabe der caritas in
Form der Armenspeisungen. Eben dies, so wird aus dem Text mehr als deutlich,
war das nach außen hin für jedermann sichtbare Zeichen eines frommen Lebens.
Der Rückgang der Klostereintritte war nach dem Dafürhalten der Vita eine direkte
Folge dieses Missstandes und konnte auch nicht mit dem Ruf des frommen Hugo
überdeckt werden.
Der Verlust von caritas und religio, aber auch Probleme bei der Rekrutierung
von Mönchen werden im Liber de restauratione selbst ganz offen angesprochen,
wenn Hermann an einer Stelle auf die gegenwärtige Situation im Kloster zu spre-
chen kommt. Im Zusammenhang mit Abt Odos Proben bemerkt er: »Heute wird
niemand mehr auf die Probe gestellt. Im Gegenteil, sobald jemand [ins Kloster]
kommt, schmeichelt man ihm sehr und macht ihm viele Versprechungen.«1468 Her-
mann beklagt hier implizit den Rückgang der Klostereintritte, der wiederum zu ei-
nem beträchtlichen qualitativen Verlust bei der Rekrutierung von geeigneten Mön-
chen führte. Während die Vita Hugonis die rückläufige Zahl der Klostereintritte mit
dem Verlust der religio erklärt, liefert der lokale Kontext einen weiteren möglichen
Hintergrund.
Die vor 1160 entstandenen Annales Rodenses berichten, dass sich um 1100 ein
gewisser Kanoniker namens Ailbert, der Scholaster an der Kathedralschule von
Tournai gewesen war, auf einen Hügel nahe der Stadt zurückgezogen und dort
eine kleine dem heiligen Medardus geweihte Kirche erbaut hatte.1469 1104 verließ
er Tournai und begab sich nach Limburg, wo er in der Nähe der Burg Rode das
Kloster Rolduc (Klosterrath) gründete.1470 Im selben Jahr ging das Medarduskirch-
lein bei Tournai in den Besitz des Kathedralkapitels von Sainte-Marie über.1471 Die
kleine Kanonikergemeinschaft, die sich im Lauf der Zeit um Saint-Medard gebildet
hatte, erhielt schließlich 1125 mit einem Regularkanoniker vom Mont-Saint-Eloi
namens Oger einen ersten Propst und im darauffolgenden Jahr eine offizielle Grün-

1468 Hermann, Liber, c. 67, S. 117: »[...] quam hodie venire videamus, cum iam nullus probatur, immo ut
veniat multis blanditiis et promissionibus demulcetur.«
1469 Annales Rodenses, S. 688-723; über Ailbert ist bekannt, dass er der Sohn des Amaury von Antoing
war, vgl. dazu P. C. Boeren, G. W. A. Panhuysen (Hgg.), Annales Rodenses. Facsimile-uitgave, S. 24-
42 und 56-60; zur Datierung ebd., S. 7-19. J. Vos, Les dignites et les fonctions de l’ancien chapitre de
Notre-Dame de Tournai, Bd. 2, S. 106-108 und J. Warichez, Les peripeties de la formation clericale
au diocese de Tournai, S. 296 machen aus Guerric von Igny einen Scholaster der Kathedralschule von
Tournai, was inzwischen allerdings widerlegt wurde, vgl. dazu Guerric d’Igny, Sermons, Bd. 1, S. 9-16.
1470 Vgl. dazu u.a. die Einleitung von Stefan Weinfurter, Helmut Deutz (Hgg.), Consuetudines canonico-
rum regularium Rodenses, S. 14-20.
1471 Eine Bulle Papst Innozenz’ II. von 1108 zählt sie zum Besitz des Kapitels. Vgl. dazu U. Berliere, Ab-
baye de saint Nicolas-des-Pres, Monasticon beige, S. 429.
 
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