6. Der Liber de restauratione und die correctio von 1136 | 391
zigjährigen Bestehen wären wir aber sehr betrübt über ihre Zerstörung. Wir wissen,
dass die Kleriker euch ungerechterweise verbieten jemanden zu begraben, der nicht
eurer Pfarrei angehört, und dass sie nicht weniger ungerecht den Zehnten von euch
verlangen. Obgleich wir für unser Seelenheil Land an euch gegeben haben, können
wir euch nicht den Zehnt von Sainte-Marie überlassen. Ihr müsst mit dem zufrie-
den sein, was wir euch gegeben haben. Ihr heiligen Männer sollt der heiligen Maria
nicht wegnehmen, was wir Sünder ihr gegeben haben. Wenn ihr nämlich Maria das
Recht wegnehmen wollt, das sie nun bereits seit 500 Jahren besitzt, weiß ich nicht,
wofür ihr das weltliche Leben aufgegeben habt. Indem ihr euren Besitz rettet, wür-
de ich sagen, erscheint ihr habgieriger, räuberischer und schlechter als wir. Ich bitte
euch daher darum, nicht länger auf eurem Recht zu beharren und die Gegend mit
solch ungewohnter Freiheit zu stören, sondern dass ihr den Wegen der benachbar-
ten Abteien folgt, die älter und reicher sind als ihr. Wir werden die Kleriker, ob sie
wollen oder nicht, dazu bringen euch das Beerdigungsrecht zuzugestehen. Wenn
ihr unseren Bitten nicht entsprecht, hebt eure Waffen hoch gegen den Strom, denn
ich werde euch nicht erlauben, den Zehnt der heiligen Maria wegzunehmen.«1573
Mit dieser Rede des Kastellans macht Hermann seinen Lesern unmissverständ-
lich deutlich, dass das Streben nach Besitz und Einkünften letztlich dazu führte,
dass die Mönche ihren guten Ruf eines engelgleichen Lebens gefährdeten und die
Unterstützung ihres sozialen Umfelds aufs Spiel setzten. Dass Hermann ausführ-
lich an dieses Ereignis erinnert, das sicherlich prägend für die Gemeinschaft war,
hängt freilich mit der institutionellen Krise Ende der 1130er Jahre zusammen, als
das Martinskloster eben den Rückhalt seines sozialen Umfelds verloren hatte. Es
verwundert daher wenig, dass eines der Hauptthemen des Liber de restauratione
das Erinnern an die große Armut des Martinsklosters ist.
Saint-Martin war zu Beginn nicht nur durch das Fehlen von Einkünften faktisch
arm, sondern auch eine Kirche, der sich vor allem die Armen von Tournai besonders
1573 Hermann, Liber, c. 89, S. 145-146: »[...]«Valde«, inquit, «domini mei, de restauratione huius ecclesie
gavisi sumus, cuius cum necdum vicesimus compleatur annus, iam de eius destructione nichilominus
valde contristamur. Scimus enim revera quod clerici vobis iniuste prohibent sepulturam eorum qui non
sunt sui parrochiani, et nichilominus vos eis iniuste decimas suas vultis aufferre: licet enim vobis terras
nostras pro animarum nostrarum salute dederimus, decimas tarnen domine nostre sancte Marie vobis
dare nonpotuimus. Quod ergo vobis dedimus tenete et sancte Marie vos, sancti viri, nolite auferre quod
nos peccatores ei dabamus; si vero ei ius suum, quod iam quingentis annis tenuit, vultis auferre, nescio
quid vobis prosit secularem vitam reliquisse, quoniam, ut salva gratia vestra dicam, cupidiores et rapa-
ciores atque peiores nobis esse videmini, qui, licet pauperibus sua auferamus, deo tarnen suas decimas
reddimus. Unde precor vos, dilectissimi domini mei, quatinus ab incepta desistentes pertinacia pro
singulari et insolita libertate provinciam non perturbetis, sed vicinarum abbatiarum, que antiquiores
et ditiores vobis sunt, morem sequamini, et nos eandem libertatem sepulture, quam ipse habent, velint
nolint clerici faciemus vobis concedi. Si vero precibus nostris adquiescere nolueretis, tune utique contra
torrentem brachia tenditis, quoniam nos nullomodo patiemur domine nostre sancte Marie decimas suas
auferri.«
zigjährigen Bestehen wären wir aber sehr betrübt über ihre Zerstörung. Wir wissen,
dass die Kleriker euch ungerechterweise verbieten jemanden zu begraben, der nicht
eurer Pfarrei angehört, und dass sie nicht weniger ungerecht den Zehnten von euch
verlangen. Obgleich wir für unser Seelenheil Land an euch gegeben haben, können
wir euch nicht den Zehnt von Sainte-Marie überlassen. Ihr müsst mit dem zufrie-
den sein, was wir euch gegeben haben. Ihr heiligen Männer sollt der heiligen Maria
nicht wegnehmen, was wir Sünder ihr gegeben haben. Wenn ihr nämlich Maria das
Recht wegnehmen wollt, das sie nun bereits seit 500 Jahren besitzt, weiß ich nicht,
wofür ihr das weltliche Leben aufgegeben habt. Indem ihr euren Besitz rettet, wür-
de ich sagen, erscheint ihr habgieriger, räuberischer und schlechter als wir. Ich bitte
euch daher darum, nicht länger auf eurem Recht zu beharren und die Gegend mit
solch ungewohnter Freiheit zu stören, sondern dass ihr den Wegen der benachbar-
ten Abteien folgt, die älter und reicher sind als ihr. Wir werden die Kleriker, ob sie
wollen oder nicht, dazu bringen euch das Beerdigungsrecht zuzugestehen. Wenn
ihr unseren Bitten nicht entsprecht, hebt eure Waffen hoch gegen den Strom, denn
ich werde euch nicht erlauben, den Zehnt der heiligen Maria wegzunehmen.«1573
Mit dieser Rede des Kastellans macht Hermann seinen Lesern unmissverständ-
lich deutlich, dass das Streben nach Besitz und Einkünften letztlich dazu führte,
dass die Mönche ihren guten Ruf eines engelgleichen Lebens gefährdeten und die
Unterstützung ihres sozialen Umfelds aufs Spiel setzten. Dass Hermann ausführ-
lich an dieses Ereignis erinnert, das sicherlich prägend für die Gemeinschaft war,
hängt freilich mit der institutionellen Krise Ende der 1130er Jahre zusammen, als
das Martinskloster eben den Rückhalt seines sozialen Umfelds verloren hatte. Es
verwundert daher wenig, dass eines der Hauptthemen des Liber de restauratione
das Erinnern an die große Armut des Martinsklosters ist.
Saint-Martin war zu Beginn nicht nur durch das Fehlen von Einkünften faktisch
arm, sondern auch eine Kirche, der sich vor allem die Armen von Tournai besonders
1573 Hermann, Liber, c. 89, S. 145-146: »[...]«Valde«, inquit, «domini mei, de restauratione huius ecclesie
gavisi sumus, cuius cum necdum vicesimus compleatur annus, iam de eius destructione nichilominus
valde contristamur. Scimus enim revera quod clerici vobis iniuste prohibent sepulturam eorum qui non
sunt sui parrochiani, et nichilominus vos eis iniuste decimas suas vultis aufferre: licet enim vobis terras
nostras pro animarum nostrarum salute dederimus, decimas tarnen domine nostre sancte Marie vobis
dare nonpotuimus. Quod ergo vobis dedimus tenete et sancte Marie vos, sancti viri, nolite auferre quod
nos peccatores ei dabamus; si vero ei ius suum, quod iam quingentis annis tenuit, vultis auferre, nescio
quid vobis prosit secularem vitam reliquisse, quoniam, ut salva gratia vestra dicam, cupidiores et rapa-
ciores atque peiores nobis esse videmini, qui, licet pauperibus sua auferamus, deo tarnen suas decimas
reddimus. Unde precor vos, dilectissimi domini mei, quatinus ab incepta desistentes pertinacia pro
singulari et insolita libertate provinciam non perturbetis, sed vicinarum abbatiarum, que antiquiores
et ditiores vobis sunt, morem sequamini, et nos eandem libertatem sepulture, quam ipse habent, velint
nolint clerici faciemus vobis concedi. Si vero precibus nostris adquiescere nolueretis, tune utique contra
torrentem brachia tenditis, quoniam nos nullomodo patiemur domine nostre sancte Marie decimas suas
auferri.«