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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0432
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428 | IV. Die Abtei von Anchin

mit einigen Gefährten ein zurückgezogenes frommes Leben führen wollten.1685 Um
ihr Vorhaben in die Praxis umzusetzen wählten sie eine Insel in der Scarpe, namens
Aquacignus, die nur schwer zugänglich war. Bei der Wahl dieses Ortes habe aber
nicht nur dessen Abgeschiedenheit eine wichtige Rolle gespielt, sondern auch des-
sen Vorgeschichte. Auf dieser Insel habe sich nämlich, so die Urkunden, eine kleine
verfallene Kirche befunden, von der es hieß, dass sie einst vom heiligen Gordan,
einem Eremiten, erbaut worden sei. Die Bekehrten wollten sich nun bei dieser klei-
nen Kirche niederlassen und sie wiederherstellen.1686 Die viel später entstandene
Fundatio berichtet zudem, dass auf der Insel zwei Bauern lebten und dass die Be-
wohner der Gegend ihre Toten bei dem verfallenen Kirchlein beisetzten.1687
Anchin war somit eine für jene Zeit typische Gründung: Zwei Ritter bekehrten
sich, begeisterten weitere Gefährten und versuchten ein eremitisch geprägtes Leben
zu führen.1688 Der Anlass für die Bekehrung Sichers und Walters wird nirgends ex-
plizit genannt. Das Auctarium hält es lediglich für erinnerungswürdig, dass Sichers
Frau Mathilde ihn in seinem Vorhaben bestärkte.1689
Uber die beiden Begründer, Sicher und Walter, ist wenig bekannt. Gerzaguet
und Charles Dereine konnten allerdings zeigen, dass Sicher wohl einer vermö-
genden Familie aus der Gegend von Lens entstammte und zum engeren Kreis des
Kastellans von Douai gehörte. Walter hingegen könnte ein Verwandter Sichers und
ein Schwager desselben Kastellans gewesen sein.1690

1685 J. P. Gerzaguet, Les chartes de l’abbaye d’Anchin, D 2, S. 88-90: »Duo milites parochiani nostri genere
et divitiis pr^clari, Walterus scilicet et Sicherus, spiritu divino afflati, dominicae promissionis elegerunt
participes fieri, qua dicitur quicumque reliquerit patrem ac matrem aut uxorem, aut agros et caetera
hujus modi, propternomen meum, centuplum accipiet et vitam aeternam possidebit. Isti ergo munda-
nae militiae cingulum deponentes, omnem hujus mundi proprietatem contempnentes, theoricam vitam
sequi spopunderunt [...].«
1686 J. P. Gerzaguet, Les chartes de l’abbaye d’Anchin, S. 89: »[...] seque et sua omnia devoventes, ipsi soli in
perpetuum deservire promiserunt, locumque qui Aquacignus dicitur elegerunt, aecclesiam inibi volen-
tes restaurare quam a sancto Gordanio in eodem loco heremiticam vitam ducente audierant quundam
^dificatam fuisse.«
1687 Fundatio, c. 1, S. 581: »mortui sepeliendi illo deferebantur, et quia, ut diximus, difficilis erat accessus,
terra interior a duobus ruricolis pauperibus inhabitabatur et fodiendo exercebatur.«; Ch. Dereine, Li-
mites, reclus et recluses, S. 289-313.
1688 Zu diesem Phänomen vgl. R. Birkenmeyer, Ehetrennung und monastische Konversion; H. Grund-
mann, Adelsbekehrungen im Hochmittelalter, S. 325-345.
1689 Auctarium, S. 393: »[...] quae coniugem suum crebrius monendo ad hoc opus aggrediendum incitavit
[...].« Die Fundatio weiß zudem zu berichten, dass sie sich einem keuschen Leben verschrieben habe.
Fundatio, S. 581: »[...] ut duo viri ingenui, Siccherus, conscia uxore et castitatem profitente [...].«
1690 Vgl. dazu J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 49-52; Ch. Dereine, Ermites, reclus et recluses, S. 293
verweist auf den Kontext der Konversion. Diese fand nämlich statt, während sich Walter von Douai,
dessen Vasallen Sicher und Walter waren, nach Rom begeben hatte, um sich von seiner Exkommuni-
kation lösen zu lassen.
 
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