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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0439
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2. Die correctio der Abtei ab 1111 | 435

Kloster und womöglich mangelnde Führungsqualitäten des Abtes überdeckt, kann
nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Dennoch lässt der weitere Lebenslauf
Gelduins vermuten, dass er tatsächlich aus Frömmigkeit und aus dem Wunsch
heraus, ein stärker kontemplatives Leben führen zu dürfen, sein Amt niederleg-
te. Nachdem er nämlich Anchin verlassen hatte, begab er sich nach Saint-Bertin,
wo er erneut als reclusus lebte. Die Gesta abbatum Simons von Saint-Bertin geben
gleichwohl zu erkennen, dass Gelduin auch dort nicht zur Ruhe gekommen war,
da er in den Konflikt mit Cluny involviert wurde. Abt Lambert sei nämlich im Jahr
1112 zusammen mit Gelduin nach Rombly gereist, um den aufgebrachten Pontius
von Cluny zu besänftigen und mit ihm zu verhandeln.1726 Diese Passage zeigt, dass
Gelduin, der ja eigentlich zurückgezogen leben wollte, durchaus von Abt Lambert
in Dienst gestellt wurde.1727 Grund hierfür könnte entweder sein besonderes di-
plomatisches Geschick gewesen sein oder die Tatsache, dass von seiner frommen
Lebensweise eine besondere Autorität ausging, wodurch dem Ansinnen Lamberts
mehr Nachdruck verliehen werden sollte.
Im Dienst des Abtes konnte Gelduin somit erneut seinem eigentlichen Wunsch
nach einem spirituellen Leben nicht nachkommen. Zudem ist anzunehmen, dass
der Konflikt zwischen Saint-Bertin und Cluny, der auch im Innern der Gemein-
schaft ausgetragen wurde und eine zum Teil spannungsreiche Atmosphäre schuf,
diesem Vorhaben zuwiderlief.1728 Gelduin zog daher die Konsequenz und verließ
Saint-Bertin, um schließlich nach England zu gehen. In einem kleinen Priorat von
Anchin, Saint-Machut, ließ er sich zum dritten Mal als Inkluse nieder und starb dort
am 4. Juli 1123.1729

1726 Simon, Gesta, II, c. 93, S. 653.
1727 Klösterliche Inklusen hatten sich gleichermaßen wie die Mönche dem Abt gegenüber gehorsam zu er-
weisen. Dieser konnte darüber entscheiden, ob er die Inklusion aufheben sollte; vgl. dazu P. L’Hermite-
Leclercq, Reclus et recluses dans la mouvance; H. Grundmann, Deutsche Eremiten, Einsiedler und
Klausner; zur Inklusion in der Regula Benedicti vgl. A. Borias, L’inclusion dans la regle de Saint-
Benoit.
1728 Siehe dazu oben S. 113-130.
1729 Zwei spätere Quellen erklären den Rückzug aus Saint-Bertin mit Gelduins Erlebnissen während der
Gesandtschaft zu Abt Pontius im Jahr 1112. Der im 14. Jahrhundert schreibende Chronist und Abt
von Saint-Bertin, Johannes von Ypern, war der Meinung, Gelduin sei darüber tief enttäuscht gewesen,
dass er Pontius nicht hätte überzeugen können nach Saint-Bertin zu kommen. Vgl. dazu Jean Long
d’Ypres, Chronica monasterii sancti Bertini, c. 39, pars 10, S. 790: »Gelduinus autem Aquicingensis
de quo supra eadem parte, cum efficere non posset, ut abbas Poncius ad Sanctum Bertinum veniret,
de reclusione sua egrediens, transmigravit in Angliam, ubi non multo post obiit.« Ferry de Locres
berichtet im 17. Jahrhundert, Gelduin sei vom Prunk des Abtes von Cluny und seines Gefolges und
von den gestellten Forderungen an Saint-Bertin angewidert gewesen und habe sich daher zurückgezo-
gen; vgl. dazu Ferry de Locre, Chronicon Belgicum, zitiert nach J. P.Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin,
S. 79, Anm. 23; beide Erklärungen scheinen spätere Interpretationen zu sein und sind zum Teil wenig
plausibel. Wahrscheinlicher ist es, dass sich Gelduin nicht nur aufgrund der Indienstnahme durch Abt
 
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