448 | IV. Die Abtei von Anchin
Gerzaguet kommt bezüglich der Handschrift Douai, BM, ms. 541 zu folgen-
dem Schluss: Die Handschrift der Gewohnheiten der Abtei von Anchin war »une
Imitation, une Inspiration clunisienne mais qui n’est pas une copie servile«.1787
Diese Einschätzung mutet angesichts der genannten Befunde durchaus plausi-
bel an. Dennoch bereitet der Umgang mit diesem Text einige Schwierigkeiten. Vor
allem dem Vergleich dieser Handschrift mit den Gewohnheiten Bernhards ist mit
großer Vorsicht zu begegnen, da nicht bekannt ist, welche Version dieses Textes den
Mönchen von Anchin im 12. Jahrhundert vorgelegen hatte.1788
Eine mögliche Antwort liefert die Handschrift Douai, BM, ms. 540, in der die
Gewohnheiten der Abtei von Marchiennes überliefert sind. Diese wohl um 1131
entstandene Handschrift dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem benach-
barten Anchin stammen und beinhaltet ebenfalls eine Version des Texts Bernhards
von Cluny. Gerzaguets Analysen haben ergeben, dass der Text dieser Handschrift
und der der später entstandenen Abschrift aus Anchin deutliche Abhängigkeiten
aufweisen.1789 Dennoch unterscheidet sich der Text aus Marchiennes im Umfang
sichtlich von dem aus Anchin. Gerzaguet legt daher die Vermutung nahe, dass
die erhaltene Handschrift aus Anchin eine abgekürzte und neugeordnete Version
der älteren Gewohnheiten des Klosters darstellt. Demnach hatte man lediglich jene
Kapitel abgeschrieben, bei denen Veränderungen vorgenommen worden waren.
Für die übrigen Kapitel hatte man dagegen auf die ältere, heute verlorengegangene
Handschrift zurückgreifen können, deren Erscheinungsbild stark dem der aus Mar-
chiennes überlieferten Handschrift geähnelt haben müsse.1790
Die Handschrift Douai, BM, ms. 541 aus Anchin lässt sich also nur bedingt
heranziehen, um Aussagen über die Gewohnheiten der Abtei im 12. Jahrhundert
zu treffen. Die zahlreichen liturgischen Zusätze, die die Abschrift aus dem 13. Jahr-
hundert aufweist, zeigen dagegen, dass dieser Text einen vermehrt dokumentari-
schen Charakter besaß.1791
1787 J. P. Gerzaguet, Le necrologe et le coutumier, S. 178.
1788 Zur Kritik am Umgang mit den Consuetudines durch Hallinger und seine Schüler siehe oben S. 40-43.
1789 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 127.
1790 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 127: »11 convient plutöt de penser que l’on s’est contente de
ne reprendre, pour des fonctions connues, que les textes ayant eu ä subir des modifications. Pour les
autres, on pouvait toujours se referer ä une version complete du coutumier aujourd’hui perdue.«
1791 Unter Simon II. erhielt der Abt von Anchin das Privileg, die Pontifikalinsignien zu tragen, was sich in
den Kapiteln 15-17 niederschlug. In der Handschrift finden sich zudem liturgische Neuerungen Abt
Hugos aus dem 15. Jahrhundert; vgl. dazu J. P. Gerzaguet, Le necrologe et le coutumier, S. 173.
Gerzaguet kommt bezüglich der Handschrift Douai, BM, ms. 541 zu folgen-
dem Schluss: Die Handschrift der Gewohnheiten der Abtei von Anchin war »une
Imitation, une Inspiration clunisienne mais qui n’est pas une copie servile«.1787
Diese Einschätzung mutet angesichts der genannten Befunde durchaus plausi-
bel an. Dennoch bereitet der Umgang mit diesem Text einige Schwierigkeiten. Vor
allem dem Vergleich dieser Handschrift mit den Gewohnheiten Bernhards ist mit
großer Vorsicht zu begegnen, da nicht bekannt ist, welche Version dieses Textes den
Mönchen von Anchin im 12. Jahrhundert vorgelegen hatte.1788
Eine mögliche Antwort liefert die Handschrift Douai, BM, ms. 540, in der die
Gewohnheiten der Abtei von Marchiennes überliefert sind. Diese wohl um 1131
entstandene Handschrift dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem benach-
barten Anchin stammen und beinhaltet ebenfalls eine Version des Texts Bernhards
von Cluny. Gerzaguets Analysen haben ergeben, dass der Text dieser Handschrift
und der der später entstandenen Abschrift aus Anchin deutliche Abhängigkeiten
aufweisen.1789 Dennoch unterscheidet sich der Text aus Marchiennes im Umfang
sichtlich von dem aus Anchin. Gerzaguet legt daher die Vermutung nahe, dass
die erhaltene Handschrift aus Anchin eine abgekürzte und neugeordnete Version
der älteren Gewohnheiten des Klosters darstellt. Demnach hatte man lediglich jene
Kapitel abgeschrieben, bei denen Veränderungen vorgenommen worden waren.
Für die übrigen Kapitel hatte man dagegen auf die ältere, heute verlorengegangene
Handschrift zurückgreifen können, deren Erscheinungsbild stark dem der aus Mar-
chiennes überlieferten Handschrift geähnelt haben müsse.1790
Die Handschrift Douai, BM, ms. 541 aus Anchin lässt sich also nur bedingt
heranziehen, um Aussagen über die Gewohnheiten der Abtei im 12. Jahrhundert
zu treffen. Die zahlreichen liturgischen Zusätze, die die Abschrift aus dem 13. Jahr-
hundert aufweist, zeigen dagegen, dass dieser Text einen vermehrt dokumentari-
schen Charakter besaß.1791
1787 J. P. Gerzaguet, Le necrologe et le coutumier, S. 178.
1788 Zur Kritik am Umgang mit den Consuetudines durch Hallinger und seine Schüler siehe oben S. 40-43.
1789 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 127.
1790 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 127: »11 convient plutöt de penser que l’on s’est contente de
ne reprendre, pour des fonctions connues, que les textes ayant eu ä subir des modifications. Pour les
autres, on pouvait toujours se referer ä une version complete du coutumier aujourd’hui perdue.«
1791 Unter Simon II. erhielt der Abt von Anchin das Privileg, die Pontifikalinsignien zu tragen, was sich in
den Kapiteln 15-17 niederschlug. In der Handschrift finden sich zudem liturgische Neuerungen Abt
Hugos aus dem 15. Jahrhundert; vgl. dazu J. P. Gerzaguet, Le necrologe et le coutumier, S. 173.