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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0472
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468 | IV. Die Abtei von Anchin

lieh, aber nicht zu belegen. Als Bischof hatte sich Alvisus gleich mehrmals erneut
mit Bernhard zu beschäftigen.
Zunächst kam es in Saint-Bertin zu einem ganz ähnlichen Fall wie in Anchin.
Ein gewisser Thomas, der im benachbarten Saint-Omer studierte, äußerte gegen-
über Bernhard den Wunsch, Mönch in Clairvaux zu werden.1869 Da er letztlich
aber doch zögerte, ermahnte ihn Bernhard zum Handeln, woraufhin Thomas nach
Clairvaux reiste und die Profess ablegte. Als nun aber der Abt von Saint-Bertin da-
von erfuhr, habe er Einspruch eingelegt, da Thomas von seinen Eltern dem Kloster
versprochen worden sei. Hierauf argumentierte Bernhard, dass Gott Thomas nach
Clairvaux geschickt habe und zudem der eigene Entschluss weit mehr wert sei als
der der Eltern. Angesichts dieser Lage wandte sich Leonius von Saint-Bertin an
seinen einstigen Lehrer, Bischof Alvisus, und hoffte, dass dieser für sein ehemali-
ges Stammkloster intervenierte.1870 Doch auch dem Bischof von Arras entgegnete
Bernhard, dass es ein Wink Gottes sei, dass Thomas in Clairvaux lebe, dass er
bereits die Gelübde abgelegt habe und es nun seine Aufgabe sei, diesen zum Heil
zu führen.1871 Für Alvisus dürften dieser Fall und diese Argumentation durchaus
bekannt gewesen sein. Sein Eingreifen war allerdings nicht von Erfolg gekrönt,
Thomas blieb in Clairvaux.
Während die Abwerbung von Mönchen sicherlich ein großes Ärgernis darstellte
und für beachtliche Spannungen in den Beziehungen zwischen Alvisus und Bern-
hard sorgte, lassen sich auch freundschaftliche Züge erkennen.
So tritt Bernhard beispielsweise bei Papst Innozenz II. für Alvisus ein. Dieser
war 1141 mit den Mönchen von Marchiennes in Konflikt geraten, als er bei der Wahl
eines neuen Abtes ein Mitspracherecht beanspruchte und somit in den Augen der
Mönche gegen das Privileg der freien Abtswahl verstieß.1872 In einem Brief spricht
sich Bernhard eindeutig für seinen Freund Alvisus aus und verteidigt ihn gegen alle
Anschuldigungen.1873
Das Verhältnis zwischen Bernhard und Alvisus ist daher schwer zu bewerten.
Fest steht, dass beide eine gewisse Freundschaft verband, die allerdings immer wie-
der auf die Probe gestellt wurde. Woher Bernhards Respekt und vielleicht auch eine
1869 Bernhard gründete in dieser Zeit mit Unterstützung Abt Leonius’ das nahe Saint-Bertin gelegene Klos-
ter Clairmarais. Es ist anzunehmen, dass Thomas und Bernhard sich bei dieser Gelegenheit begegneten.
VgL dazu Anm. zu Brief 108 in Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 1105.
1870 Leonius war zudem ursprünglich Mönch aus Anchin; siehe dazu unten Anm. 2055.
1871 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 108, S. 277-279.
1872 VgL dazu Andreas von Marchiennes, Miracula Sanctae Rictrudis, II, c. 4, Sp. 110A-111D; S. Vander-
putten, A Time of Great Confusion, S. 70-72.
1873 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 8, ep. 339, S. 279-280; in diesem Streit sollten aber die Mönche
von Marchiennes Recht behalten; vgL dazu S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 66-73;
siehe auch oben S. 246.
 
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