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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0477
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6. Die spirituelle Prägung der Gemeinschaft in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts 473

mentar zu datieren, die in Anchin entstanden.1886 Die Vorlagen für diese illuminier-
ten Werke dürften aus dem nahegelegenen Saint-Amand gekommen sein. Der Illus-
trator könnte dagegen aus Saint-Vaast in Arras gestammt haben, da seine Malerei
dem Stil des dortigen Skriptoriums stark ähnelt.1887 Für diese These spricht zudem
die Tatsache, dass Abt Aimerich (1088-1102) aus der Gemeinschaft von Saint-Vaast
stammte und somit engere Beziehungen zwischen beiden Gemeinschaften bestan-
den.1888 Nach Cerny kam die Schreibtätigkeit des Skriptoriums allerdings unter Abt
Gelduin vorübergehend zum Erliegen.1889 Erst unter Abt Alvisus lassen sich wie-
der Aktivitäten eines Skriptoriums nachweisen.1890 Zu einer wahren Blüte gelangte
dies allerdings erst unter Abt Gossuin. Während seiner Amtszeit wurde nicht nur
eine Großteil der heute überlieferten Handschriften angefertigt, sondern diese auch
aufwendig dekoriert. Hierfür besaß das Kloster, wie Andre Boutemy und Cerny
zeigen konnten, eine ganze Reihe von zum Teil namentlich bekannten Schreibern
und auch einige herausragende Illustratoren, die gemeinsam an den Handschriften
arbeiteten.1891 Die Forschungen, die zur Buchmalerei von Anchin betrieben wurde,
erlauben es zum einen, die Handschriften zu datieren, zum anderen aber auch die
kulturellen Einflüsse aufzuzeigen, denen das Kloster ausgesetzt war und die es wie-
derum an andere Klöster weitergab.
Besonders deutlich wird dies beispielsweise an einem anonymen Illustrator, den
man in der Forschung als »Meister des Grotesken« bezeichnet. Ein Erkennungs-
merkmal dieses Malers stellen Initialen dar, die mit kleinen Figuren, Fabelwesen,
Dämonen und Drachen ausgeschmückt sind.1892 Cerny hat in seinen Forschun-
gen gezeigt, dass die Initialen des »Meisters des Grotesken« nicht nur Einflüsse
aus Saint-Omer und Saint-Bertin, sondern auch »einige Affinitäten mit der frühen
1886 Vgl. dazu P. Cerny, Die romanische Buchmalerei, S. 33; zur Datierung: die Alardus-Bibel in Saint-
Amand (Valenciennes, BM, ms. 9) wird von A. Boutemy, Enluminures, S. 239; Ders., Les relations
artistiques, S. 76 auf die Zeit um 1100 datiert; P. Cerny, Die romanische Buchmalerei, S. 34 hingegen
datiert sie auf die 1080er Jahre. Somit wäre eine Abschrift aus der Zeit um 1100 sehr wahrscheinlich.
1887 Vgl. dazu P. Cerny, Die romanische Buchmalerei, S. 34.
1888 Zur Herkunft Abt Aimerichs vgl. Auctarium, S. 394: »1088. [...] Cui successit Haimericus Atrebatensis
monachus, litteris eruditus.«
1889 P. Cerny, Romanische Buchmalerei, S. 35 sieht einen Grund für die Unterbrechung der Schreibtätigkeit
darin, dass der Abbatiat Gelduins von Spannungen mit der Gemeinschaft geprägt war und nach seinem
Amtsverzicht »eine Periode tiefen Zerfalls folgte.« Vgl. dazu auch J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin,
S. 75-83.
1890 Von der Schreibtätigkeit zeugt vor allem die Abfassung des Auctarium; siehe dazu oben S. 455-464.
1891 A. Boutemy, Enluminures, S. 235-236 kann an einigen Beispielen zeigen, dass bei der Anfertigung
einer Handschrift meist ein Schreiber und ein Illustrator beteiligt waren, ebd., S. 236-248 versucht
die Schreiber und möglichen Illustratoren zu identifizieren. P. Cerny, Die romanische Buchmalerei,
S. 33-60 konzentriert sich vorwiegend auf die Illuminatoren und konnte einige Irrtümer Boutemys
aufzeigen.
1892 Aus der Hand dieses Meisters stammt vor allem die Handschrift Douai, BM, ms. 253.
 
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