484 | IV. Die Abtei von Anchin
der monastische Geist verloren gegangen ist. De novitiis instruendis darf als ein
Versuch angesehen werden, jedem einzelnen Mönch vor Augen zu führen und in
Erinnerung zu rufen, was die Lebensweise ausmacht, für die er sich entschieden hat,
und wie er durch diese zur Vollkommenheit gelangen kann.
Fazit
Der Blick auf die Bibliotheksbestände und das Skriptorium von Anchin gibt deut-
lich zu erkennen, dass die Abtei mit dem Amtsantritt Gossuins (1131) zu einem
wichtigen spirituellen und kulturellen Zentrum der Region aufstieg. Die Buchma-
lerei und die Sammelschwerpunkte der Bibliothek zeigen, dass das Kloster in einem
sehr regen Austausch mit anderen religiösen Gemeinschaften stand und äußerst
empfänglich für Einflüsse jeglicher Art war. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts lässt sich eine besondere Affinität zu Bernhard von Clairvaux und den
Zisterziensern erkennen; und dies in den unterschiedlichsten Bereichen.
Sowohl das Werk De novitiis instruendis als auch die Bibliotheksbestände der
Abtei mit ihren verschiedenen Sammelschwerpunkten machen deutlich, dass die
Spiritualität dieser Gemeinschaft durch eine sehr große Offenheit und Vielfalt ge-
prägt war: Entscheidend war dabei das Vermitteln eines gottgefälligen Lebens; die
Provenienz der Texte spielte hierbei keine größere Rolle. Die sehr allgemein gehal-
tene Sprache lässt sich allerdings - wie die Beispiele dieser Studie zeigen - auch in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der correctio ande-
rer Gemeinschaften fassen. In Anchin besteht der einzige Unterschied darin, dass
die Quellenlage in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts weit besser ist. Zudem
stehen diese Texte nicht im Kontext einer correctio', sie zielen vielmehr auf die Ver-
stetigung eines gottgefälligen Lebens ab. Nach Melville wollte diese Sprache »aus-
drücken, was Klöster nunmehr sein sollten: Institutionalisierte Orte zur Aufnahme
und gemeinschaftlichen Bewahrung der Leitideen jenes religiösen Aufbruchs, der
mit der Neuformierung des eremitischen Gedankengutes begonnen hatte.«1951 Die
in den Texten aus Anchin formulierten proposita sind allerdings so breit und allge-
mein angelegt, dass sie weniger die eremitischen Ideale und Leitideen des religiösen
Aufbruchs widerspiegeln als vielmehr ein allgemeines Streben nach einem gottge-
fälligen Leben. Im letzten Schluss bedeutet dies, dass die Abtei von Anchin nicht
in die geläufigen Kategorien eingeordnet werden kann, derer sich die Lorschung
gerne bedient: Die spirituelle Prägung der Gemeinschaft ist weder allein auf den
1951 G. Melville, Die Welt, S. 166-167.
der monastische Geist verloren gegangen ist. De novitiis instruendis darf als ein
Versuch angesehen werden, jedem einzelnen Mönch vor Augen zu führen und in
Erinnerung zu rufen, was die Lebensweise ausmacht, für die er sich entschieden hat,
und wie er durch diese zur Vollkommenheit gelangen kann.
Fazit
Der Blick auf die Bibliotheksbestände und das Skriptorium von Anchin gibt deut-
lich zu erkennen, dass die Abtei mit dem Amtsantritt Gossuins (1131) zu einem
wichtigen spirituellen und kulturellen Zentrum der Region aufstieg. Die Buchma-
lerei und die Sammelschwerpunkte der Bibliothek zeigen, dass das Kloster in einem
sehr regen Austausch mit anderen religiösen Gemeinschaften stand und äußerst
empfänglich für Einflüsse jeglicher Art war. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts lässt sich eine besondere Affinität zu Bernhard von Clairvaux und den
Zisterziensern erkennen; und dies in den unterschiedlichsten Bereichen.
Sowohl das Werk De novitiis instruendis als auch die Bibliotheksbestände der
Abtei mit ihren verschiedenen Sammelschwerpunkten machen deutlich, dass die
Spiritualität dieser Gemeinschaft durch eine sehr große Offenheit und Vielfalt ge-
prägt war: Entscheidend war dabei das Vermitteln eines gottgefälligen Lebens; die
Provenienz der Texte spielte hierbei keine größere Rolle. Die sehr allgemein gehal-
tene Sprache lässt sich allerdings - wie die Beispiele dieser Studie zeigen - auch in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der correctio ande-
rer Gemeinschaften fassen. In Anchin besteht der einzige Unterschied darin, dass
die Quellenlage in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts weit besser ist. Zudem
stehen diese Texte nicht im Kontext einer correctio', sie zielen vielmehr auf die Ver-
stetigung eines gottgefälligen Lebens ab. Nach Melville wollte diese Sprache »aus-
drücken, was Klöster nunmehr sein sollten: Institutionalisierte Orte zur Aufnahme
und gemeinschaftlichen Bewahrung der Leitideen jenes religiösen Aufbruchs, der
mit der Neuformierung des eremitischen Gedankengutes begonnen hatte.«1951 Die
in den Texten aus Anchin formulierten proposita sind allerdings so breit und allge-
mein angelegt, dass sie weniger die eremitischen Ideale und Leitideen des religiösen
Aufbruchs widerspiegeln als vielmehr ein allgemeines Streben nach einem gottge-
fälligen Leben. Im letzten Schluss bedeutet dies, dass die Abtei von Anchin nicht
in die geläufigen Kategorien eingeordnet werden kann, derer sich die Lorschung
gerne bedient: Die spirituelle Prägung der Gemeinschaft ist weder allein auf den
1951 G. Melville, Die Welt, S. 166-167.