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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0500
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496 | IV. Die Abtei von Anchin

Gossuin dies erreicht, indem er sich gegenüber den dortigen Brüdern nicht streng,
sondern äußerst liebenswert verhalten habe. Nachdem er also zunächst das Vertrau-
en in seine Person hergestellt hatte, galt es, die Brüder für die Inhalte der correctio
zu gewinnen. Dies sollte aber nicht in erster Linie durch Belehrungen geschehen,
sondern durch bewusstes Vorleben der Ideale. Der Text betont, dass Gossuin mit
seinem Beispiel voranging und die Mönche erst danach belehrte. »So erschien ih-
nen machbar, was er lehrte, liebenswert, was er ihnen riet, nachahmenswert, was
er tat.«2002 Auch im Falle Saint-Medards betont die Vita prima, dass Gossuin die
dortigen Brüder durch sein Beispiel und seine Unterweisungen erreichte. 2003
Der große Erfolg Gossuins lag nach der Vita prima somit zum einen in seinem
persönlichen Führungsstil, der frei von Strenge und Dünkel war.2004 Zum anderen
erwies sich aber auch seine didaktische Methode des docere verbo et exemplo als
durchaus erfolgreich.2005 2006 Gerade dieses Prinzip durchzieht die gesamte Vita prima
und steht auch im Mittelpunkt des Traktats De novitiis instruendis.™b
Gossuins erstes Ziel sei es gewesen, mit der besagten Methode den Mönchen die
claustrales observantias beizubringen und dann dafür zu sorgen, dass diese auch be-
folgt werden. »Was nütze nämlich die Kenntnis, wenn keine Umsetzung folge.«2007
Was die Mönche im Einzelnen zu erlernen hatten, wird in jenem Kapitel des ersten
Buchs deutlich, das dem Leser vor Augen führt, wie Gossuin selbst als junger Mann
das Mönchtum erlernt hatte. Mit großem Eifer habe er jede noch so kleine obser-
vantia seines Vorhabens (propositum) gelernt.2008 Des Weiteren ist die Rede von der
»Schule der Tugenden«, in der ihm beigebracht wurde, dass die Gedanken der mili-
tes Christi rein, ihr Reden knapp und ihre Handlungen tadellos sein müssen, damit
nichts Zugang zu Hand, Geist und Zunge hat, was dem Mönchtum schaden könnte,

2002 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 16, S. 68-69: »Agebat ad quod venerat, nulli ibi morantium gravis,
sed amabilis universis; & quia faciebat, quod dicebat, imitando illum, qui coepit primum facere, post
docere; significabat esse factibile, quod docebat; amabile, quod suadebat; imitabile, quod agebat.«
2003 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 17, S. 71-72.
2004 So heißt es im Falle Saint-Medards, dass Gossuin das Amt des Klaustralpriors übernahm »& sic non
erat quicquam actioni vanitatis admixtum, quomodo expers fuerat suscptio levitates.« (R. Gibbon, Vita
Gosuini prima, I, c. 17, S. 71). Gossuins Führungsstil, der auf übergroße Strenge verzichtet, steht im
Gegensatz zu der Strenge, die die Quellen Abt Alvisus zusprachen; siehe dazu oben S. 442-443.
2005 C. W. Bynum, Docere verbo et exemplo.
2006 VgL dazu M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 83. Das Prinzip docere verbo et exemplo findet
zudem Erwähnung in R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 18, S. 77 (Klaustralprior von Saint-Medard),
c. 22, S. 100 (Prior von Anchin).
2007 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 17, S. 71-72: »Claustralis Prior constitutes, animos claustralium ad
claustralem inflectebat tarn exemplis, quam sermonibus dignitatem, & agebat in eis primo, ut claustrales
observantias haberent non ignotas; deinde, ut cognitas custodirent, dicens, quia non aliter esset bona
cognitione, nisi completione sequeretur.«
2008 Zum monastischenpropositum vgl. M. Schürer, Das »propositum«, S. 99-128.
 
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