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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0502
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498 | IV. Die Abtei von Anchin

tifizieren sollten. Er spiegelt somit die spirituelle Prägung der Gemeinschaft von
Anchin jener Zeit wider und soll daher kurz analysiert werden.
Die Ideale, die beide Viten an Gossuin exemplifizieren, lassen sich grob in drei
Gruppen einteilen. Während die einen für jeden Christen Gültigkeit hatten, bezo-
gen sich die anderen speziell auf die Mönche und wieder andere auf den Abt der
Gemeinschaft. In der Vita prima widmet der Verfasser den allgemeinen Mönchside-
alen eigene Kapitel: So dem Fasten,2012 der persönlichen Armut und Demut,2013 der
Sanftmut,2014 dem frommen Gebet, der dabei an den Tag gelegten Beständigkeit2015
und der Barmherzigkeit gegenüber den Armen.2016 Diese und zahlreiche weitere
monastische (und allgemein christliche) Tugenden finden sich zudem immer wie-
der verstreut im Text und sollen hier nicht im Detail aufgeführt werden. Auch die
Vita Gosuini secunda, die aber in erster Linie für das Priorat von Saint-Georges in
Hesdin verfasst wurde, widmet einigen der oben genannten Ideale eigene Kapitel
und schenkt zudem den Idealen der Einsamkeit und der Schweigsamkeit besondere
Aufmerksamkeit.2017
In seiner Funktion als Abt kommen Gossuin darüber hinaus weitere Tugenden
und idealtypische Verhaltensweisen zu. So betont die Vita prima, dass Gossuin als
Abt weiterhin in der Gemeinschaft lebte und gemeinsam mit den Brüdern betete, aß
und schlief.2018 Als Abt habe er sehr großen Wert auf die Tugenden seiner Mönche
gelegt. Unterredungen mit Frauen waren diesen daher strikt untersagt.2019 Die Vita
secunda betont zudem, dass Gossuin allen Laien den Zutritt zum Kloster verwehrt
habe, um die strenge Klausur zu wahren. Nur selten sei es Mönchen erlaubt worden,
die Klostermauern zu verlassen.2020 Innerhalb der Gemeinschaft habe er Missstände

2012 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 19, S. 83-87.
2013 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 3, S. 114-115.
2014 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 4, S. 116-117.
2015 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 5, S. 118-119. Dort heißt es beispielsweise, dass Gossuin bis ins
hohe Alter hinein an den langen Offizien teilgenommen hatte. Nur in den letzten drei Jahren seines
Lebens musste er gestützt werden: »Nullius solemnis officii prolixitate potuit permoveri, ut indulgeret
corpusculo sessionem, nisi interdum triennio eius decessionem praecedente.«
2016 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 7, S. 122-124.
2017 Zur Armut vgl. R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 22, S. 230; zur Demut ebd., c. 4, S. 205, c. 14,
S. 218-219; zum Gebet ebd., c. 11, S. 215-216; zur Barmherzigkeit gegenüber den Armen ebd., c. 16,
S. 221-223; zur Einsamkeit ebd., c. 20, S. 227; zur Schweigsamkeit ebd., c. 30, S. 241-242.
2018 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, II, c. 2, S. 113: »A fratribus dux constitutus non extollebatur, sed et in
illis quasi unus ex illis, & una cum ipsis psallebat, edebat, pausabat.«
2019 R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 30, S. 242: »Nullus fratrum extra manentium, cuiquam feminae
saeculari, vel religiosae loquebatur [...].«
2020 R. Gibbon, Vita Gosuini secunda, c. 17, S. 223: »Nulli Laicorum in claustro ingredi licitum erat, ne cum
saecularibus ingrederetur saecularitas.« Vgl. dazu auch die strenge Klausur in Saint-Martin in Tournai,
die, wie Hermann von Tournai berichtet, unter seinem Lehrer Odo herrschte; siehe oben S. 394-396.
 
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