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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0552
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548 | Schlussfolgerungen

neralkapitel orientierten sich bei ihrem Vorhaben und ihrem Vorgehen mit großer
Wahrscheinlichkeit am Vorbild von Citeaux.2124 Wie bekannt bereits den Zeitgenos-
sen eben dieses Modell war, gibt Hermann von Tournai zu erkennen, der auf genau-
este Weise über die Funktionsweise der Generalkapitel von Premontre zu berichten
weiß. Er erklärt, dass nur Klöster derselben ecclesia daran teilnehmen durften und
zu welchem Zweck sie sich trafen.2125 Die Gründung neuer Klöster beschreibt er
nach dem Modell der Filiation und greift zudem die dazu gehörige Terminologie
auf, wenn er von Premontre als der Mutter spricht.2126 Im Gegensatz zu Premontre
und Citeaux mangelte es den abbates comprovinciales der Kirchenprovinz Reims
eben einer solchen »Mutter«, eines spirituellen Zentrums, von dem aus die correctio
in andere Gemeinschaften getragen werden konnte. In der Forschung hat man für
Flandern und die angrenzenden Regionen vor allem der Abtei von Anchin eine ver-
gleichbare Funktion zugeschrieben und daher von der »Reformbewegung von An-
chin« gesprochen.2127 Obgleich einiges dafür spricht, dass das Agieren der abbates
comprovinciales und der Abtei von Anchin ansatzweise mit dem Modell der Filia-
tion beschrieben werden kann, sollte nicht vergessen werden, dass ihr Vorhaben
längerfristig scheiterte. Die Gründe hierfür lassen sich nicht mit absoluter Sicherheit
fassen. In der Forschung wurde zum Teil darauf verwiesen, dass es den Äbten vor
allem an der nötigen Exekutivgewalt gegen deviante Gemeinschaften mangelte und
zudem die Teilnahme an den Generalkapiteln auf dem Prinzip der Freiwilligkeit
basierte.2128 Die Beispiele von Marchiennes und Saint-Martin, die nachweislich mit
dem zelus religionis dieser Äbte und vor allem der Abtei von Anchin in Verbindung
zu bringen sind, lassen einen weit schwerwiegenderen Grund für das Scheitern er-
kennen: Die Abteien versuchten, ihre spirituelle Eigenständigkeit zu bewahren.
Diese Angelegenheiten, die mit der wichtigen Frage nach Identität in Verbindung
zu bringen sind, beschränkten sich aber nicht allein auf den spirituellen Bereich.
Ein weit größeres Problem war nämlich vor allem die von den abbates betriebene
Personalpolitik, die, wie Vanderputten zeigte, mitunter sehr aggressive Züge trug.
Derartige Eingriffe von außen in Personalfragen provozierten nicht nur den Wider-
stand der Mönche, die darin einen Angriff auf ihre Freiheit sahen (Marchiennes und
in anderem Kontext auch Saint-Bertin), sondern auch den Widerstand des sozialen
Umfelds der Gemeinschaft. Das Scheitern der Generalkapitel lag somit zu einem
2124 Siehe dazu oben S. 30-35.
2125 Heriman, Les miracles, III, c. 6, S. 214.
2126 Siehe dazu oben Anm. 1657.
2127 A. M. Helvetius, Aspects de l’influence de Cluny; S. Vanderputten, A Time of Great Confusion; Gesta
abbatum Lobbiensium, c. 19, S. 323: »[...] inter omnia circumquaque monasteria primatum obtinere
hactenus probatur.«
2128 U. Berliere, Les chapitres generaux, S. 259; ebenso S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 59.
 
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