XVIII
Einleitung des Herausgebers
Das konnte er umso leichter, als ihm die Bibel dabei entgegenkam. Gott ist hier näm-
lich beides, Transzendenz und Person in einem: Transzendenz, sofern er sich durch
das Bilderverbot menschlichem Vorstellungsvermögen entzieht, Person, sofern er sich
durch sein Wort - und ein solches ist auch das Bilderverbot - dem Menschen zukehrt.
Der biblische Gott ist »Transzendenz als Person«,* * 49 und nur deshalb kann der Mensch
von ihm ergriffen werden und nach ihm sich richten. Er ist »Person, an die der Mensch
sich wendet. Es ist ein Drang zu Gott, Gott zu hören.«50
Philosophisch konnte Jaspers bei dieser Einsicht nicht stehen bleiben, aber gerade
dadurch, dass sie sein Denken in Bewegung setzte, behielt sie eine motivierende Kraft,
die erst dann erschöpft war, wenn das Denken vor der Transzendenz zur Ruhe kam.
Durch formales Transzendieren Schritt für Schritt ihrer Gegenständlichkeit entledigt,
blieb von der Persönlichkeit Gottes am Ende nichts als seine unbedingte Forderung,
die der Existenz, frei geworden von allen Vorstellungen über Gottes Willen, aus der
Transzendenz entgegentrat: »Gottes Stimme wird vernehmlich in der Freiheit der
Selbstüberzeugung und hat kein anderes Organ, dem Menschen sich mitzuteilen. Wo
der Mensch aus der Tiefe entschieden ist, glaubt er Gott zu gehorchen, ohne in objek-
tiver Garantie zu wissen, was Gott will.«51
Jaspers war sich der Missverstehbarkeit solcher Äußerungen wohl bewusst. Die Rede
von Gottes Willen war nicht unproblematisch. Wer sich daran orientierte, lief Gefahr,
sich darauf zu berufen. Deshalb mahnte er zur Vorsicht: »Im Hören auf Gottes Füh-
rung liegt das Wagnis des Verfehlens. Denn der Inhalt ist noch vieldeutig, die Freiheit,
die im hellen und eindeutigen Wissen des Notwendigen bestände, ist nie vollkommen.
Das Wagnis, ob ich darin wirklich ich selbst sei, wahrhaft aus dem Ursprung die Rich-
tung gehört habe, hört nie auf.«52 Lediglich vom Standpunkt des zwar nicht unbetei-
ligten, aber doch distanzierten Betrachters formte sich vielleicht ein Bild, das wie alle
Bilder etwas zu sehen, aber nicht die Wahrheit gab: »Erst im Rückblick kann das Stau-
nen möglich sein angesichts der unbegreiflichen Führung. Aber auch dann ist es nie
sicher, wird die wahre Führung Gottes nicht zu einem Besitz.«53
So weit wie in diesen Formulierungen ist Jaspers nie zuvor und nie mehr danach
gegangen. Die Eindringlichkeit, mit der er in den ersten Nachkriegs jähren von Gott
»transzendenten Gott« (ebd., 40) oder der »Transzendenz Gottes« (ebd., 37) war Transzendenz
nicht einmal mehr Synonym, sondern lediglich Wesensbestimmung Gottes.
49 K. Jaspers: Von der Wahrheit, in.
50 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 40.
51 Ebd., 66-67.
52 Ebd., 67.
53 Ebd., 68. - Zum philosophischen Leben unter der Führung Gottes vgl. auch K. Jaspers: Einführung
in die Philosophie, 65-72. Da diese zwölf Radiovorträge an ein breiteres Publikum gerichtet waren,
gingjaspers darin in manchen Formulierungen über jene der Basler Vorlesungen hinaus. Was er
dort etwa »transzendente Hilfe« (K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 61) genannt hatte, hieß
hier »Hilfe Gottes« (K. Jaspers: Einführung in die Philosophie, 70).
Einleitung des Herausgebers
Das konnte er umso leichter, als ihm die Bibel dabei entgegenkam. Gott ist hier näm-
lich beides, Transzendenz und Person in einem: Transzendenz, sofern er sich durch
das Bilderverbot menschlichem Vorstellungsvermögen entzieht, Person, sofern er sich
durch sein Wort - und ein solches ist auch das Bilderverbot - dem Menschen zukehrt.
Der biblische Gott ist »Transzendenz als Person«,* * 49 und nur deshalb kann der Mensch
von ihm ergriffen werden und nach ihm sich richten. Er ist »Person, an die der Mensch
sich wendet. Es ist ein Drang zu Gott, Gott zu hören.«50
Philosophisch konnte Jaspers bei dieser Einsicht nicht stehen bleiben, aber gerade
dadurch, dass sie sein Denken in Bewegung setzte, behielt sie eine motivierende Kraft,
die erst dann erschöpft war, wenn das Denken vor der Transzendenz zur Ruhe kam.
Durch formales Transzendieren Schritt für Schritt ihrer Gegenständlichkeit entledigt,
blieb von der Persönlichkeit Gottes am Ende nichts als seine unbedingte Forderung,
die der Existenz, frei geworden von allen Vorstellungen über Gottes Willen, aus der
Transzendenz entgegentrat: »Gottes Stimme wird vernehmlich in der Freiheit der
Selbstüberzeugung und hat kein anderes Organ, dem Menschen sich mitzuteilen. Wo
der Mensch aus der Tiefe entschieden ist, glaubt er Gott zu gehorchen, ohne in objek-
tiver Garantie zu wissen, was Gott will.«51
Jaspers war sich der Missverstehbarkeit solcher Äußerungen wohl bewusst. Die Rede
von Gottes Willen war nicht unproblematisch. Wer sich daran orientierte, lief Gefahr,
sich darauf zu berufen. Deshalb mahnte er zur Vorsicht: »Im Hören auf Gottes Füh-
rung liegt das Wagnis des Verfehlens. Denn der Inhalt ist noch vieldeutig, die Freiheit,
die im hellen und eindeutigen Wissen des Notwendigen bestände, ist nie vollkommen.
Das Wagnis, ob ich darin wirklich ich selbst sei, wahrhaft aus dem Ursprung die Rich-
tung gehört habe, hört nie auf.«52 Lediglich vom Standpunkt des zwar nicht unbetei-
ligten, aber doch distanzierten Betrachters formte sich vielleicht ein Bild, das wie alle
Bilder etwas zu sehen, aber nicht die Wahrheit gab: »Erst im Rückblick kann das Stau-
nen möglich sein angesichts der unbegreiflichen Führung. Aber auch dann ist es nie
sicher, wird die wahre Führung Gottes nicht zu einem Besitz.«53
So weit wie in diesen Formulierungen ist Jaspers nie zuvor und nie mehr danach
gegangen. Die Eindringlichkeit, mit der er in den ersten Nachkriegs jähren von Gott
»transzendenten Gott« (ebd., 40) oder der »Transzendenz Gottes« (ebd., 37) war Transzendenz
nicht einmal mehr Synonym, sondern lediglich Wesensbestimmung Gottes.
49 K. Jaspers: Von der Wahrheit, in.
50 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 40.
51 Ebd., 66-67.
52 Ebd., 67.
53 Ebd., 68. - Zum philosophischen Leben unter der Führung Gottes vgl. auch K. Jaspers: Einführung
in die Philosophie, 65-72. Da diese zwölf Radiovorträge an ein breiteres Publikum gerichtet waren,
gingjaspers darin in manchen Formulierungen über jene der Basler Vorlesungen hinaus. Was er
dort etwa »transzendente Hilfe« (K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 61) genannt hatte, hieß
hier »Hilfe Gottes« (K. Jaspers: Einführung in die Philosophie, 70).