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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0358
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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geschichtliche Entscheidung der Existenz ist - und die allgemeine Wahrheit, die in
Sätzen des Glaubens ausgesprochen wird.
Die geschichtliche existentielle Wahrheit liegt im Augenblick des Entschlusses und
seiner stets wieder ursprünglichen Wiederholung. Diese Wahrheit entzieht sich in ih-
rer Unbedingtheit der allgemeinen Aussagbarkeit. Chiffern und allgemeine Begrün-
dungen können sie erhellen, aber nicht im Kern erreichen. Das Ich als Existenz, ihre
Liebe kann nicht gerechtfertigt werden. Sie sind außer Sicht geraten, wenn solche
Rechtfertigung versucht wird. Was existentiell wirklich ist, ist nicht nachweisbar und
doch Voraussetzung allen Ernstes im Miteinanderreden.
Das allgemeine Bekennen und feste Behaupten scheint den sicheren Halt zu tref-
fen. Durch ihn fühle ich mich stark. Der Inhalt ist nachweisbar durch Überlieferung
und gründet sich entweder in Offenbarung oder in einer dogmatischen Philosophie.
Diese Unterscheidung hat zwei Sätze zur Folge: Der Kampf hat ein Ende jeweils in
der geschichtlichen Existenz, die aus der Möglichkeit durch ihren Entschluß in die
Wirklichkeit getreten ist und den Grund ihres Lebens gefunden hat. Der Kampf hat
kein Ende in den Aussagen, Urteilen, Chiffern.
Hier verknotet sich die Diskussion. Der eine sagt: Dein Bekennen | und festes Be-
haupten ist ein Ausweichen vor dem eigentlichen Ernst, die Befreiung von deiner Frei-
heit. Der andere sagt: Du entziehst dich der Wahrheit dadurch, daß du eine subjektive,
unobjektivierbare Wahrheit deiner Existenz in Anspruch nimmst.
Aber ist dieser Gegensatz, bei dessen Aussprache sich jede Seite von der anderen
völlig mißverstanden fühlt, doch nur ein Vordergrund? Trifft er nur Abgleitungen?
Wir vermögen ihn nicht zu durchstoßen in einer Denkgestalt des Glaubens, in der wir
einig wären. Daher spricht auf beiden Seiten mit der Kommunikationsbereitschaft die
Verwunderung.
Unüberbrückbar scheint der Gegensatz immer nur dann, wenn er allgemein formu-
liert wird. Die Wirklichkeit der Menschen fügt sich aber nicht irgendeinem Schema al-
ternativer Begriffe. Der Mensch, der sich zu einem formulierten Prinzip ohne Einschrän-
kung zu bekennen scheint, ist doch immer mehr, als das, was in solchem Akte geschieht.
(7) Unverbindlichkeit und Spiel: Die Vieldeutigkeit und Beweglichkeit der Chiffer
führt zur ästhetischen Unverbindlichkeit. Nur wenn die Bewegung aus dem Ursprung
der Existenz geführt wird, ist es ernst. Der Vorwurf ist möglich: die Freiheit der Bewe-
gung in Chiffern bezeuge, weil ein absolutes, objektives Kriterium ihrer Wahrheit
fehle, daß sie selber solche ästhetische Unverbindlichkeit sei.
Darauf ist zu antworten: Wenn die ästhetische Unverbindlichkeit als Lebensverfas-
sung verworfen wird, so doch keineswegs das unersetzliche Spiel. Wenn ich mich nicht
einlasse auf die unendliche Welt der noch unverbindlichen Erfahrung, komme ich
auch nicht zum eigentlichen Ernst des Verbindlichen.
Die großen Dichter und Künstler waren ergriffen von dem Ernst, der aus der Tran-
szendenz sie traf. Sie übersetzten ihn in diese Gestalt der Freiheit, hoben Dogmatik

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