Stellenkommentar WA 9, KSA 6, S. 31-32 131
Als Rezitativ wird diejenige „Art des Gesangs" verstanden, „welche zu
gunsten der natürlichen Accentuation und selbst des Tonfalls der Worte das
rein musikalische Element auf ein Minimum beschränkt, sowohl hinsichtlich
der Melodiebildung als der rhythmischen Gliederung, sozusagen die prosa-
ische Rede des Gesangs. Die Erfindung des Recitativs fällt zusammen mit der
Entstehung der Oper. Das Bestreben, dem durch kontrapunktische Künste von
der Musik ganz überwucherten poetischen Text wieder zu seinem Recht zu
verhelfen und einen natürlichen Ausdruck der Empfindung im Gesang zu
ermöglichen, führte auf dem Weg ästhetischen Räsonnements zur Erfindung
des Stilo rappresentativo, dessen Kern das R. ist. [...]. Erst die Förderer des
dramatischen Stils, voran [Claudio] Monteverde und später Alessandro Scar-
latti, gestalteten die Begleitung des Recitativs lebendiger und schufen das
Accompagnato, das R. mit ausgearbeiteter, musikalisch bedeutsamerer Beglei-
tung, während das R. mit Generalbaß als Seccorecitativ oder /634/ schlechtweg
Secco sich daneben bis in unsre Zeit hielt. [...]. Das moderne R., besonders wie
es Wagner schreibt, unterscheidet sich von dem ältern nur dadurch, daß der
Musik wieder ein reicherer Anteil zugewiesen ist und die Instrumentalmusik
interessante Gestaltung entwickelt, während die Singstimme im getreuen
Anschluß an die (kunstgemäß gesteigerte) natürliche Deklamation sich frei
bewegt. Das Vollkommenste dieser Art ist vielleicht der Dialog von Hans Sachs
und Eva im zweiten Akte der ,Meistersinger'." (Meyer 1885-1892, 13, 633 f.).
32, 1-5 Was gar das Wagnerische „Leitmotiv" betrifft, so fehlt mir dafür alles
kulinarische Verständniss. Ich würde es, wenn man mich drängt, vielleicht als
idealen Zahnstocher gelten lassen, als Gelegenheit, Reste von Speisen los zu
werden.] Vgl. NK 17, 1. Zu 32, 1 f. gibt es in W II 7, 82 (KSA 14, 407) eine Variante:
„Das ,Leitmotiv' ein für mich völlig unverdauliches Zeug, wüßte ich über-
haupt nicht ins Culinarische zu übersetzen".
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32, 9-12 Was zuerst ihm aufgeht, ist eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung,
eine wirkliche Actio mit einem hautrelief der Gebärde, eine Scene, die
umwirft — diese denkt er in die Tiefe, aus ihr zieht er erst die Charaktere.]
Vgl. NK KSA 6, 422, 29-32. N. umreißt hier eine besonders im Ring und seinen
Teilen auffällige Methode Wagners, die Expositionen seiner Opern aus einer
oft bis ins Detail beschriebenen (und in der Praxis stets kaum ausführbaren)
Szenerie zu entwickeln, aus der sich wiederum, je nach gegebener Handlung,
die einzelnen Charaktere entweder aus dem groß angelegten Hintergrund
Als Rezitativ wird diejenige „Art des Gesangs" verstanden, „welche zu
gunsten der natürlichen Accentuation und selbst des Tonfalls der Worte das
rein musikalische Element auf ein Minimum beschränkt, sowohl hinsichtlich
der Melodiebildung als der rhythmischen Gliederung, sozusagen die prosa-
ische Rede des Gesangs. Die Erfindung des Recitativs fällt zusammen mit der
Entstehung der Oper. Das Bestreben, dem durch kontrapunktische Künste von
der Musik ganz überwucherten poetischen Text wieder zu seinem Recht zu
verhelfen und einen natürlichen Ausdruck der Empfindung im Gesang zu
ermöglichen, führte auf dem Weg ästhetischen Räsonnements zur Erfindung
des Stilo rappresentativo, dessen Kern das R. ist. [...]. Erst die Förderer des
dramatischen Stils, voran [Claudio] Monteverde und später Alessandro Scar-
latti, gestalteten die Begleitung des Recitativs lebendiger und schufen das
Accompagnato, das R. mit ausgearbeiteter, musikalisch bedeutsamerer Beglei-
tung, während das R. mit Generalbaß als Seccorecitativ oder /634/ schlechtweg
Secco sich daneben bis in unsre Zeit hielt. [...]. Das moderne R., besonders wie
es Wagner schreibt, unterscheidet sich von dem ältern nur dadurch, daß der
Musik wieder ein reicherer Anteil zugewiesen ist und die Instrumentalmusik
interessante Gestaltung entwickelt, während die Singstimme im getreuen
Anschluß an die (kunstgemäß gesteigerte) natürliche Deklamation sich frei
bewegt. Das Vollkommenste dieser Art ist vielleicht der Dialog von Hans Sachs
und Eva im zweiten Akte der ,Meistersinger'." (Meyer 1885-1892, 13, 633 f.).
32, 1-5 Was gar das Wagnerische „Leitmotiv" betrifft, so fehlt mir dafür alles
kulinarische Verständniss. Ich würde es, wenn man mich drängt, vielleicht als
idealen Zahnstocher gelten lassen, als Gelegenheit, Reste von Speisen los zu
werden.] Vgl. NK 17, 1. Zu 32, 1 f. gibt es in W II 7, 82 (KSA 14, 407) eine Variante:
„Das ,Leitmotiv' ein für mich völlig unverdauliches Zeug, wüßte ich über-
haupt nicht ins Culinarische zu übersetzen".
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32, 9-12 Was zuerst ihm aufgeht, ist eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung,
eine wirkliche Actio mit einem hautrelief der Gebärde, eine Scene, die
umwirft — diese denkt er in die Tiefe, aus ihr zieht er erst die Charaktere.]
Vgl. NK KSA 6, 422, 29-32. N. umreißt hier eine besonders im Ring und seinen
Teilen auffällige Methode Wagners, die Expositionen seiner Opern aus einer
oft bis ins Detail beschriebenen (und in der Praxis stets kaum ausführbaren)
Szenerie zu entwickeln, aus der sich wiederum, je nach gegebener Handlung,
die einzelnen Charaktere entweder aus dem groß angelegten Hintergrund