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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0266
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Stellenkommentar GD Sprüche, KSA 6, S. 62-63 247

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63, 8 f. Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der
Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.] Der Gedanke ist einer
Vorwort-Skizze zum nie geschriebenen ,Hauptwerk' „Der Wille zur Macht" ent-
nommen, wo er, ausführlicher formuliert, anders akzentuiert wird: „Ich miß-
traue allen Systemen und Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg: viel-
leicht entdeckt man noch hinter diesem Buche das System, dem ich
ausgewichen bin... / Der Wille zum System: bei einem Philosophen mora-
lisch ausgedrückt eine feinere Verdorbenheit, eine Charakter-Krankheit, unmo-
ralisch ausgedrückt, sein Wille, sich dümmer zu stellen als man ist — Dümmer,
das heißt: stärker, einfacher, gebietender, ungebildeter, commandirender,
tyrannischer..." (NL 1887, KSA 12, 9[188], 450, 19-26, in ungeschönter Fassung
KGW IX 6, W II 1, 1, 28-38 — in den WzM-Editionen des Weimarer N.-Archivs
fehlt diese Passage bezeichnenderweise, vgl Niemeyer 2009, 350).
Diese Täuschungsabsicht, die im Systemwillen der Philosophen liege, wird
in 63, 8 f. auf den „Mangel an Rechtschaffenheit" gekürzt und damit ein mora-
lisches Urteil suggeriert, über dessen Kriterien keine Auskunft gegeben wird.
Der Leser muss, ist ihm die Nachlassnotiz unbekannt geblieben, selber Mutma-
ßungen anstellen, worin denn dieser Rechtschaffenheitsmangel beim Systema-
tiker begründet sein könnte. Dies illustriert die Technik der Aussparung, die
N. in der Bearbeitung von Notizen für die Druckschrift GD oft erprobte. In
Eugene de Robertys L'ancienne et la nouvelle philosophie hat N. einschlägige
Überlegungen zum systematischen Anspruch der Philosophie gefunden: „Tout
Systeme philosophique, ä quelque epoque qu'il appartienne et quel que soit
l'etat mental qui le produise, tend toujours, autant qu'il peut, ä constituer une
explication generale et complete de l'univers et de ses phenomenes, par conse-
quent une conception du monde, une sorte de savoir superieur." (Roberty 1887,
55; Kursiviertes von N. in seinem Handexemplar unterstrichen. „Jedes philoso-
phische System, welcher Epoche es auch immer angehört und wie auch immer
die geistige Grundlage ist, die es hervorbringt, versucht immer eine allgemein-
gültige und umfassende Erklärung des Universums und seiner Erscheinungen zu
liefern, in der Folge eine Weltanschauung, also eine Art übergeordneten Wis-
sens.") In früheren Epochen habe es daher gar keine wirkliche, sondern nur
hypothetische Philosophie gegeben, da viele Bereiche dem wissenschaftlichen
Wissen damals noch nicht erschlossen waren. Entsprechend seien philosophi-
sche Systeme bisher nichts weiter als Reihen allgemeiner, aber nicht verifizier-
barer Hypothesen gewesen, die niemals eine allgemeine und vollständige
Erklärung des Universums hätten geben können (ebd., 55 f.). Robertys implizite
Annahme, dass die Philosophie mit dem Positivismus Comtes zu einem befrie-
 
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