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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0497
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478 Götzen-Dämmerung

zunächst in der wohl ursprünglichen Variante wiedergegeben) als Versuch
einer „ökonomische[n] Rechtfertigung der Tugend" breiter entfaltet: „Die
Tugend, ökonomisch betrachtet. Der Mensch, nutzbar gemacht, und in so
hohem Grade als möglich der Maschine angenähert: folglich mit Maschi-
nen-Tugenden ausgestattet (- er muß die Zustände, in welchen er machi-
nal-nutzbar arbeitet, als die höchstwerthigen empfinden lernen; dazu thut
noth, daß ihm die anderen möglichst entleidet, möglichst gefährlich und
verrufen gemacht werden ..) / Hier ist der erste Stein des Anstoßes die Lange-
weile, die Einförmigkeit.Diese ertragen zu lernen und von einem höhe-
ren Reize umspielt (sehen lernen): dies ist die Aufgabe unserer öffentlichen
Schulen. Etwas lernen, was uns nichts angeht; und eben darin, in diesem
,objektiven' Thätigsein seine ,Pflicht' empfinden; die Lust und die Pflicht von
einander getrennt empfinden lernen - das ist die unschätzbare Aufgebung
unseres höheren Schulwesens. Der Philologe war deshalb bisher der Erzieher
an sich: weil er für seine Person das Muster einer stupiden und grandiosen
Objektivität der Thätigkeit abgegeben hat: unter seiner Fahne lernt der Jüngling
,ochsen': erste Vorbedingung zur machinalen Pflichterfüllung (als Staats-
Beamter, Gatte, Parteimensch, Zeitungsleser und Soldat)(.) Eine solche Exis-
tenz bedarf einer philosophischen Verklärung mehr als jede andere: die ange-
nehmen Gefühle müssen von irgend einer unfehlbaren Instanz aus als niedri-
geren Ranges erkannt werden; die ,Pflicht an sich', vielleicht das Pathos der
Ehrfurcht in Hinsicht auf alles, was Pflicht ist - und diese Forderung als
[...] jenseits aller Nützlichkeit, Ergötzlichkeit, Zweckmäßigkeit redend, impera-
tivisch... Die machinale Existenzform als höchste erhwürdigste Existenzform,
sich selbst anbetend (- Typus: Kant als Fanatiker des Formalbegriffs ,du
sollst')".
Dieselbe Passage lautet in der letzten von N. überarbeiteten Variante
(zitiert nach KGW IX 6, W II 2, 133-134, 38): „Ich versuche eine ökonomische
Rechtfertigung der Tugend. Die Aufgabe ist [...], ökonomisch betrachtet(,)
[...] (den) Mensch(en) möglichst nutzbar (zu) mach(en) und ihn so weit es
irgendwie angeht der unfehlbaren Maschine zu näher(n): zu diesem Zwecke
muß er mit Maschinen-Tugenden ausgestattet werden. (- er muß die
Zustände, in welchen er machinal-nutzbar arbeitet, als die höchstwerthigen
empfinden lernen; dazu thut noth, daß ihm die anderen möglichst entleidet,
möglichst gefährlich und verrufen gemacht werden...) / Hier ist der erste Stein
des Anstoßes die Langeweile, die Einförmigkeit welche alle machinale
Tugend mit sich bringt. Diese ertragen zu lehren und nicht nur ertragen, die
Langeweile von einem höheren Reiz umspielt sehen lehren: dies war bisher
die Aufgabe alles höheren öffentlichen Schulwesens. Etwas lernen, was uns
nichts angeht; und eben darin, in diesem ,objektiven' Thätigsein seine ,Pflicht'
 
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