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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0570
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 150 551

Ekel — Goethe...] Vgl. Hehn 1888, 93 f. „Die Revolution, eine Empörung gegen
den tragenden Naturgrund und gegen alle historischen Zusammenhänge und
Bedingungen, construirte den Staat nach der Willkühr des sogenannten Ver-
nunft- und Naturrechts; sie schnitt ab was dieser Construction im Wege stand,
auch wenn es Ströme von Blut kostete; sie betrachtete die Individuen als
wesentlich gleich, als blosse Ziffern, und regulirte ihr Leben nach abstrakt-
mechanischen Formeln. Das konnte allerdings nur zum Schein und für eine
kleine Weile gelingen, wie wir nur für einige Augenblicke auf dem Kopfe gehen
können. [...] Beides, der Bau eines neuen Staates in der Abstraktion von allen
organisch-lebendigen Kräften und die Kantische dualistische Moral und Ver-
läugnung der Natur mußte Goethe tief mißfallen: den Kantianismus ließ er
gewähren, blickte aus der Ferne verwundert hinüber [...]. /94/ Die Revolution
aber bekämpfte er in einigen Zusätzen zum Faust, in den Venetianischen Epi-
grammen, in besonderen Dramen".
Im Streit der Fakultäten hatte Kant das Verhältnis zwischen Französischer
Revolution und den darin nur mittelbar Involvierten in der Metaphorik von
Schauspiel und Zuschauern beschrieben: „Es ist bloß die Denkungsart der
Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer Umwandlungen öffentlich ver-
räth und eine so allgemeine und doch uneigennützige Theilnehmung der
Spielenden auf einer Seite gegen die auf der andern, selbst mit Gefahr, diese
Parteilichkeit könne ihnen sehr nachtheilig werden, dennoch laut werden läßt,
so aber (der Allgemeinheit wegen) einen Charakter des Menschengeschlechts
im Ganzen und zugleich (der Uneigennützigkeit wegen) einen moralischen
Charakter desselben wenigstens in der Anlage beweiset, der das Fortschreiten
zum Besseren nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solches ist, so
weit das Vermögen desselben für jetzt zureicht. Die Revolution eines geistrei-
chen Volks, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelin-
gen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greuelthaten dermaßen angefüllt
sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie zum zweitenmale unter-
nehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf sol-
che Kosten zu machen nie beschließen würde, — diese Revolution, sage ich,
findet doch in den Gemüthern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem
Spiele mit verwickelt sind) eine Theilnehmung dem Wunsche nach, die nahe
an Enthusiasm grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war,
die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur
Ursache haben kann." (AA VII, 85).
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In diesen Abschnitt integriert N. (namentlich im Anschluss an Schöll 1882)
ältere Überlegungen — vgl. z. B. NL 1887, KSA 12, 9[178] u. [179], 443 f. (KGW
 
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