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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0013
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XII Vorwort zu Nl< 6/1 und 6/2

seinem Tode herauszugeben als was er selbst für die Publication bestimmt und
fertig gestellt hätte; denn wenn man sich sein ganzes Leben geplagt hätte, nur
Ausgearbeitetes und Ganzes vor das Volk zu bringen, möchte man doch nicht
dann im Hauskleid erscheinen" (Krümmel 1988, 488 f.).
Nietzsches Wunsch, seine Selbstdeutungen als autoritativ anerkannt zu
sehen und „nur Ausgearbeitetes und Ganzes vor das Volk zu bringen", kann
der vorliegende Kommentar nicht erfüllen: Er dringt zu den Unter- und Hinter-
gründen von Nietzsches Denken vor, er fördert Quellen zutage und bettet in
Kontexte ein. Er zeigt Inkonsistenzen auf und versucht die Genese von Gedan-
ken zu enträtseln.
Quellenforschung gilt spätestens seit Barthold Georg Niebuhr als Funda-
ment seriöser historischer Forschung. Allerdings leugnete Goethe gegenüber
Eckermann am 16. Dezember 1828 ihren Wert: „,Etwas Aehnliches', sagte ich
[sc. Eckermann], ,kommt in der literarischen Welt häufig vor, indem man z. B.
an dieses oder jenes berühmten Mannes Originalität zweifelt und die Quellen
auszuspüren sucht, woher er seine Cultur hat.' / ,Das ist sehr lächerlich!' sagte
Goethe; ,man könnte ebenso gut einen wohlgenährten Mann nach den Ochsen,
Schafen und Schweinen fragen, die er gegessen und die ihm Kräfte gegeben.
Wir bringen wohl Fähigkeiten mit, aber unsere Entwickelung verdanken wir
tausend Einwirkungen einer großen Welt, aus der wir uns aneignen, was wir
können und was uns gemäß ist.'" (Eckermann 1868, 2, 29) Die Tatsache dieser
„tausend Einwirkungen" ist freilich noch kein Argument, das es verböte oder
zumindest unplausibel machte, nach ihnen zu fragen. Im Gegenteil scheint zu
gelten, dass erst, wer „Einwirkungen" erschlossen hat, zu verstehen beginnt,
was das- oder derjenige ist, auf das oder den eingewirkt wurde. Nichts lässt
sich verstehen, was nicht als vielfach Bedingtes verstanden wird.
Nietzsche verschleierte namentlich in seinen letzten Werken die „Einwir-
kungen", an denen er sich abarbeitete, indem er sie entweder totschwieg (z. B.
im Fall von Julius Wellhausen) oder sich lautstark polemisch von ihnen
abwandte (z. B. im Fall von Ernest Renan). Im Umgang mit seinen Lektüren
verfuhr er exakt so, wie er es im zweiten Teil von Menschliches, Allzumenschli-
ches einige Jahre früher beschrieben hatte: „Die schlechtesten Leser sind die,
welche wie plündernde Soldaten verfahren: sie nehmen sich Einiges, was sie
brauchen können, heraus, beschmutzen und verwirren das Uebrige und lästern
auf das Ganze." (MA II VM 137, KSA 2, 436) Bekanntlich hat Nietzsche für seine
eigenen Schriften ein ganz anderes Lektüreverhalten eingefordert, nämlich
„Lesen als Kunst", als „Wiederkäuen" (GM Vorrede 8, KSA 5, 256). Wenn
sich der vorliegende Kommentar — zumal in Ermangelung des noch immer
ausstehenden philologischen Nachberichts zu den Schriften von 1888/89 in der
KGW — auf die Suche nach den „Ochsen, Schafen und Schweinen" macht, die
 
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