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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0039
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16 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

dung einer „nietzscheanischen Religion" (Aschheim 2000, 219), insofern sie in
Gestalt des Christentums denkbar drastisch das Gegenbild dessen zeichnet,
was die religiösen Nietzscheaner für erstrebenswert halten (vgl. zu den diver-
sen Varianten Nietzscheanischer Religiosität ebd., 219-250). Dennoch war aus
AC kaum die positive Utopie einer neuen Religion zu gewinnen: Ungeachtet
der verhältnismäßig positiven Urteile über das vorexilische Israel, den Bud-
dhismus, den Hinduismus nach Maßgabe Manus und den Islam lässt die anti-
christliche Kritik am Christentum keine Form positiver Religion unangetastet,
so dass nur eine vereinseitigende, die prinzipiellen religionskritischen Züge
ausblendende Lektüre aus AC einen Text machen kann, welcher der Untermau-
erung einer nietzscheanischen Religion dient, die ihre Verkündigungsversatz-
stücke ohnehin eher aus Also sprach Zarathustra bezieht (vgl. z. B. zum Fall
von Max Maurenbrecher Zitzmann 2008, zum Fall von Ernst Horneffer Mitt-
mann 2005).
Andererseits fühlten sich die Freunde und Verteidiger des Christentums
durch AC in ihrem Selbstverständnis in Frage gestellt. Die theologischen Versu-
che, mit N.s fundamentaler Kritik und namentlich mit AC umzugehen, reichen
von schroffer Selbstbehauptung mittels Rückzug auf dogmatische Kernbe-
stände bis zu großen Gesten der Eingemeindung (vgl. den Überblick bei Mour-
kojannis 2000). Die Dämonisierung N.s zu einer eschatologischen Figur oder
zu einem dämonischen Liquidator christlicher Wahrheiten, wie sie die theolo-
gische N.-Literatur lange beherrscht hat (vgl. z. B. Simon 1904), ist in der Zwi-
schenzeit — trotz aller Entrüstung über N.s profane Sinnstiftungen im Sinnlo-
sen (vgl. z. B. Wolff 1963) — vielfach seiner Domestizierung als leider
unerlöstem Gottsucher gewichen (als neueres Beispiel symptomatisch Tro-
witzsch 1997; zur Kritik Schellong 1981, 373 u. Sommer 2003b). Dann ist etwa
zu lesen, N. habe es auf eine Synthese von Jesus und Dionysos abgesehen,
denn „wenn irgend jemand, so ist Nietzsche mit seiner gesamten Existenz, die
er dabei aufs Spiel gesetzt hat, Theologe gewesen" (Picht 1988, 398; zur Kritik
Köster 1981/82, 681). Dieses Schema der Re-Theologisierung N.s hat sich schon
um 1900 eingebürgert. So notiert N.s Freund Overbeck: „Von [Julius] Kaftan
höre ich, er sei jetzt so weit mit Nietzsche, dass er ihn für einen der besten
Erzieher zur Theologie erklärt. Ein Beweis jedenfalls dafür, was für ein Erztheo-
loge Kaftan ist. Denn für das Parasitenwesen der Theologie ist sein Urtheil
allerdings characteristisch. So hat es die Theologie stets gemacht und sich
weiter geholfen, indem sie sich an das ihr Fremdartige heranwarf und davon
lebte, so insbesondere an die Wissenschaft. [...] Wählerisch darf ja der Parasit
überhaupt nicht sein, er muss verzehren, was ihm vorgesetzt wird, es kommt
ihm nur auf einen gedeckten Tisch an. [...] ,Herrschen — und nicht mehr
Knecht eines Gottes sein: — diess Mittel blieb zurück, die Menschen zu vered-
 
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