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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0040
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Überblickskommentar 17

len' — dieses Wort Nietzsches [...] sollte billigerweise allen Theologen den
Geschmack an Nietzsche verderben, zumal den ,modernen', welche Religion
und Christenthum mit Vorliebe unter dem Gesichtspunkt des Machtmittels, des
Mittels zur Weltherrschaft betrachten und schätzen (allerdings im schroffsten
Widerspruch mit dem innersten Geist des Christenthums)." (Overbeck 1999,
7/2, 195 f., vgl. Kaftan 1897 u. 1906, 3, wo er sich gegen Overbecks Behauptung
verwahrt, er halte N. für „einen der besten Erzieher", sowie NK KSA 6, 299, 11-
16).
Mancherorts hat sich die Einschätzung etabliert, N. habe es nur auf Fehl-
entwicklungen des Christlichen abgesehen gehabt, so dass man gerade als
Christ seine Einwände durchaus teilen könne, um mit ihm gemeinsam ein
geläutertes oder sich läuterndes Evangelium zu verteidigen (vgl. z. B. Penzo
1986). Alternativ wird behauptet, N.s Verurteilung habe bloß „dem Christentum
seiner Zeit" gegolten, und sein „Bild des Christentums" sei deshalb „so ver-
zerrt" gewesen, „dass dazu jeder gesund empfindende Mensch unbedingt Nein
sagen muss" (Lotz 1953, 14 u. 19). Peter Kösters Diagnose ist durch die seither
neuerschienene Literatur nicht widerlegt: „Eine Vorstellung scheint theologi-
schen Autoren ohnehin ernstliche Schwierigkeiten zu bereiten und ihr Selbst-
gefühl zu tangieren: die nämlich, dass Nietzsche das Christentum in einigen
wesentlichen Zügen sehr scharf gesehen — und es dennoch negiert haben
könnte" (Köster 1981/82, 684).
Theologisch interessierte Autoren haben sich insbesondere an N.s Rekon-
struktion Jesu, an seiner „Psychologie des Erlösers" in AC abgearbeitet. „Iso-
liert erwecken diese Texte [in AC] möglicherweise den Eindruck, Nietzsche
wolle das wahre Evangelium Jesu gegen das ,Dysangelium' des Paulus, der
Kirche, des Christentums stark machen. Wahr daran ist nur, dass Nietzsche im
Kampf gegen das Christentum auch Jesus selbst als Schlag-Waffe gebrauchen
kann und daher einsetzt. Falsch daran ist jedoch die mitgeführte Vorstellung,
Nietzsche sei so etwas wie der Lehrer einer imitatio Christi." (Willers 1988, 275)
Die vornehmlich argumentationsstrategische Bedeutung des scheinbar positi-
ven Jesus-Rekurses in AC hat bereits Ernst Benz herausgestellt (Benz 1956, vgl.
auch Figl 2002), während Eugen Biser in seinen zahlreichen Veröffentlichun-
gen zum Thema nicht müde geworden ist, N.s „nie ganz aufgegebene Verbun-
denheit" mit Jesus zu betonen (Biser 1981, 405; vgl. Biser 1982). Wie stark
theologische Autoren gerade im Hinblick auf N.s Behandlung Jesu auf eine
christliche Repatriierung N.s hofften, zeigen die scharfsinnigen Analysen des
theologischen N.-Diskurses bei Peter Köster (1981/82 u. 2003), bei Dieter Schel-
long (1989, vgl. auch Sommer 2003b) und Magnus Striet (1999). Die gebotene
Zurückhaltung im Hinblick auf eine vorgeblich von N. erneuerte Jesus-Fröm-
migkeit muss freilich nicht ambitionierte philosophische Deutungen der „Psy-
chologie des Erlösers" ausschließen (z. B. bei Stegmaier 2000, 57 f.).
 
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