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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0042
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II Stellenl<ommentar

Der Titel
165, If. Der Antichrist. / Fluch auf das Christenthum.] Mit der Umstellung der
Werkpläne vom „Willen zur Macht" zur „Umwerthung aller Werthe" wird im
September 1888 der Titel „Der Antichrist" als erstes von insgesamt vier
Büchern einer solchen „Umwerthung" ins Auge gefasst (NL 1888, KSA 13, 19[8],
545, vgl. 22[14], 589). Am 30. September wird dieses erste Buch der „Umwer-
thung" druckfertig, bevor N. dann im November brieflich kundtut, dieses erste
Buch sei die ganze „Umwerthung". Das Druckmanuskript von N.s Hand hat
sich erhalten; es hat zwei Titelblätter: Das erste, ältere trägt die Aufschrift:
„Der Antichrist. / Versuch einer Kritik des Christenthums. / Erstes
Buch / der Umwerthung aller Werthe."; auf dem zweiten steht: „Der
Antichrist. / Fluch auf das Christenthum." Gestrichen hat N. auf diesem
zweiten Blatt schließlich noch den Untertitel „Umwerthung aller Werthe"
(KSA 14, 434 f.). Titel und Untertitel sind nur das letzte Wort in einer Reihe
wohl erwogener Konzepte und Titel. In der GoA und den darauf basierenden
Ausgaben wurde der von N. verworfene Untertitel „Versuch einer Kritik des
Christenthums" weiter als der eigentliche geführt — ein Titel, der sich ange-
sichts des Tones und des Gehaltes von AC allenfalls als sarkastisches Under-
statement lesen ließe.
Es kommt im Text von AC keine Person vor, die sich selber als der Anti-
christ, d. h. als die eschatologische Widersacher-Figur zu Christus zu erkennen
gäbe (die sprechenden „Wir" und „Ich" sind allenfalls „Antichristen", d. h.
einfach Gegner des Christentums) — während es immerhin in EH Warum ich
so gute Bücher schreibe 2, KSA 6, 302, llf. heißt: „ich bin, auf griechisch,
und nicht nur auf griechisch, der Antichrist". Wichtig ist die Differenz von
flektierbarem „Antichrist" ohne bestimmten Artikel zur Bezeichnung von Per-
sonen, die sich in Opposition zum Christentum begreifen, und „dem" unflek-
tierbaren „Antichrist" als Gestalt der christlichen Endzeitmythologie (Sala-
quarda 1973, 95-99). Dabei wird von N. offenkundig weniger eine Person,
sondern vielmehr ein Buch als der Antichrist identifiziert: Die Buchreligion
Christentum wird durch ein Buch aufgehoben (Sommer 2000a, 51). In der
kirchlichen Tradition wird der Antichrist demgegenüber nicht von einem Buch,
sondern von einer Person verkörpert. Der Titel der Schrift evoziert die eschato-
logische Gestalt, so häufig die Selbstprädikation „Antichrist" ohne bestimmten
Artikel bei N. sonst vorkommen mag.
 
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