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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0084
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Stellenkommentar AC 8, KSA 6, S. 174 61

174, 19-21 Es ist nothwendig zu sagen, wen wir als unsern Gegensatz fühlen —
die Theologen und Alles, was Theologen-Blut im Leibe hat — unsre ganze Philo-
sophie...] N. folgt hier der Ausschließungslogik, die der schließlich gestrichene
Zwischentitel für die Abschnitte 8 bis 14 „Für uns — wider uns" (KSA 14,
438) vorgegeben hat. Damit wird die christliche Ausschließungslogik reprodu-
ziert, die sich in Matthäus 12, 30 bzw. Lukas 11, 23 artikuliert: „Wer nicht mit
mir ist, ist wider mich." Vgl. auch Feuerbach 1904, 365: „Wer nicht für Chris-
tus, ist wider Christus; was nicht christlich, ist antichristlich. Aber was
ist christlich? Dies muss genau bestimmt, dies kann nicht freigestellt werden."
174, 20 Theologen] Der Ausdruck wird hier nicht verwendet zur Bezeichnung
der Vertreter einer wissenschaftlichen Disziplin, sondern der Personifikationen
religiös-asketischer Ideale. Entsprechend kommt der abstrakte Begriff „Theolo-
gie" nicht vor; nur die „Theologen" werden genannt. Theologe-Sein erscheint
als eine spezifische Form der Krankheit, einer Dekadenz, die sich eine falsche
Anschauung von sich selbst und von der Realität zugelegt hat, um eine nihilis-
tische Moral durchzusetzen (vgl. AC 9). Als Personen sind „Theologen" interes-
sant, weil sie symptomatisch sind für gesamtgesellschaftliche Gegebenheiten,
vgl. EH Warum ich so weise bin 7, KSA 6, 274 f., ferner zur Antitheologie in N.s
Umfeld Overbeck 1995, 5, 468-598.
174, 20 Theologen-Blut] Jeweils zu Beginn von AC 8 bis 10 kehrt die Wendung
„Theologen-Blut" wieder (175, 17 u. 176, 13), was diese Abschnitte aufeinander
bezieht. Die dreifache Wiederholung drängt den Lesern die Meinung auf, nie-
mandem stehe es frei, Theologe zu sein oder nicht zu sein. Vielmehr scheint
eine offenbar physische Disposition dazu zu zwingen. Wie unter solchen
Umständen eine Emanzipation vom „Verhängniss" (174, 21) möglich sei, bleibt
offen.
174, 21-24 Man muss das Verhängniss aus der Nähe gesehn haben, noch bes-
ser, man muss es an sich erlebt, man muss an ihm fast zu Grunde gegangen sein,
um hier keinen Spaass mehr zu verstehn] Der Verweis auf N.s eigene christliche
Sozialisierung liegt hier natürlich nahe. N. stellt im Spätwerk gerne zur Schau,
wie sehr er sich von seiner Herkunft emanzipiert hat, vgl. Henke 1981, 134.
174, 28 Theologen-Instinkt des Hochmuths] Gemeint ist mit diesem „Hoch-
muth", sich über die „Wirklichkeit" — das Faktische, Materielle und Heutige —
erhaben zu dünken und in die Fiktion einer besseren, idealeren Welt zu emi-
grieren. Die von Theologen-Gesinnung angesteckten Philosophen (vgl. 174, 21)
strafen „den ,Verstand', die ,Sinne', die ,Ehren', das ,Wohlleben', die ,Wissen-
schaft'" mit „Verachtung" (175, 2 f.). Der Vorwurf des Hochmuts als solcher ist
die Umkehrung desjenigen, den man in der theologischen Sphäre jeweils gegen
 
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