68 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum
176, 21-27 Woher das Frohlocken, das beim Auftreten Kants durch die deut-
sche Gelehrtenwelt gieng, die zu drei Viertel aus Pfarrer- und Lehrer-Söhnen
besteht —, woher die deutsche Überzeugung, die auch heute noch ihr Echo findet,
dass mit Kant eine Wendung zum Besseren beginne? Der Theologen-Instinkt
im deutschen Gelehrten errieth, was nunmehr wieder möglich war...] Seine kriti-
sche Absetzung von Kant findet N. bestätigt bei Roberty 1887, 35-45 (zahlreiche
Lesespuren N.s, vgl. NPB 500), der Kant ebenfalls für den Vertreter einer zu
überwindenden Geisteshaltung hält: „Kant est metaphysicien jusqu'ä la moelle
des os" (Roberty 1887, 36 - „Kant ist ein Metaphysiker bis ins Knochenmark"),
der seine Philosophie wie die vorangegangene Metaphysik gleichfalls auf einer
nicht verifizierbaren Hypothese gründet, wonach „les objets d'experience en
general, ne sont que nos objets, que l'objectivite n'a de valeur qu'en tant que
consequence, ou, plutöt, representation de la subjectivite, qu'enfin la connais-
sance a posteriori doit etre precedee par la connaissance a priori et guidee par
elle" (ebd., 37 - „die Dinge der Erfahrung im Allgemeinen sind bloß unsere
Dinge, dass die Objektivität ihren Wert nur hat, insofern sie Folge oder eher
Darstellungsform der Subjektivität ist, dass schließlich dem Erkennen a poste-
riori das Erkennen a priori vorangehen und dieses jenes leiten muss"). Kant
habe die Essenz der alten Metaphysik gerettet, indem er ihre Formen geändert
habe (ebd., 38).
176, 27-32 Ein Schleichweg zum alten Ideal stand offen, der Begriff „wahre
Welt", der Begriff der Moral als Essenz der Welt ( — diese zwei bösartigsten
Irrthümer, die es giebt!) waren jetzt wieder, Dank einer verschmitzt-klugen Skep-
sis, wenn nicht beweisbar, so doch nicht mehr widerlegbar... Die Vernunft,
das Recht der Vernunft reicht nicht so weit...] „Enferme dans les limites de la
psychologie, le philosophe allemand n'eüt pu proclamer solennellement,
comme premier principe et dernier resultat de la philosophie, le concept de
l'incognoscible, si necessaire ä toute metaphysique. [...] il transforme imme-
diatement l'hypothese psychologique en hypothese philosophique, et s'en sert
pour interpreter non pas seulement les phenomenes intellectuels, mais tous
les phenomenes en general. A cöte du monde phenomenal, produit de notre
organisme, Kant place un autre monde independant du premier, le monde des
conceptions absolues qui est inaccessible ä l'entendement, mais qui, par une
etrange contradiction, ou, plus exactement, par une singuliere terminologie,
se trouve etre accessible ä la raison. Il retombe ainsi lourdement dans la vieille
orniere metaphysique." (Roberty 1887, 38. Mehrere Randmarkierungen N.s, Kur-
siviertes von ihm unterstrichen. „Eingeschlossen in den Grenzen der Psycholo-
gie hätte der deutsche Philosoph nicht feierlich, als erstes Prinzip und letztes
Resultat der Philosophie, das Konzept des Unerkennbaren verkünden können,
welches für die Metaphysik so notwendig ist. [...] Er verwandelt die psychologi-
176, 21-27 Woher das Frohlocken, das beim Auftreten Kants durch die deut-
sche Gelehrtenwelt gieng, die zu drei Viertel aus Pfarrer- und Lehrer-Söhnen
besteht —, woher die deutsche Überzeugung, die auch heute noch ihr Echo findet,
dass mit Kant eine Wendung zum Besseren beginne? Der Theologen-Instinkt
im deutschen Gelehrten errieth, was nunmehr wieder möglich war...] Seine kriti-
sche Absetzung von Kant findet N. bestätigt bei Roberty 1887, 35-45 (zahlreiche
Lesespuren N.s, vgl. NPB 500), der Kant ebenfalls für den Vertreter einer zu
überwindenden Geisteshaltung hält: „Kant est metaphysicien jusqu'ä la moelle
des os" (Roberty 1887, 36 - „Kant ist ein Metaphysiker bis ins Knochenmark"),
der seine Philosophie wie die vorangegangene Metaphysik gleichfalls auf einer
nicht verifizierbaren Hypothese gründet, wonach „les objets d'experience en
general, ne sont que nos objets, que l'objectivite n'a de valeur qu'en tant que
consequence, ou, plutöt, representation de la subjectivite, qu'enfin la connais-
sance a posteriori doit etre precedee par la connaissance a priori et guidee par
elle" (ebd., 37 - „die Dinge der Erfahrung im Allgemeinen sind bloß unsere
Dinge, dass die Objektivität ihren Wert nur hat, insofern sie Folge oder eher
Darstellungsform der Subjektivität ist, dass schließlich dem Erkennen a poste-
riori das Erkennen a priori vorangehen und dieses jenes leiten muss"). Kant
habe die Essenz der alten Metaphysik gerettet, indem er ihre Formen geändert
habe (ebd., 38).
176, 27-32 Ein Schleichweg zum alten Ideal stand offen, der Begriff „wahre
Welt", der Begriff der Moral als Essenz der Welt ( — diese zwei bösartigsten
Irrthümer, die es giebt!) waren jetzt wieder, Dank einer verschmitzt-klugen Skep-
sis, wenn nicht beweisbar, so doch nicht mehr widerlegbar... Die Vernunft,
das Recht der Vernunft reicht nicht so weit...] „Enferme dans les limites de la
psychologie, le philosophe allemand n'eüt pu proclamer solennellement,
comme premier principe et dernier resultat de la philosophie, le concept de
l'incognoscible, si necessaire ä toute metaphysique. [...] il transforme imme-
diatement l'hypothese psychologique en hypothese philosophique, et s'en sert
pour interpreter non pas seulement les phenomenes intellectuels, mais tous
les phenomenes en general. A cöte du monde phenomenal, produit de notre
organisme, Kant place un autre monde independant du premier, le monde des
conceptions absolues qui est inaccessible ä l'entendement, mais qui, par une
etrange contradiction, ou, plus exactement, par une singuliere terminologie,
se trouve etre accessible ä la raison. Il retombe ainsi lourdement dans la vieille
orniere metaphysique." (Roberty 1887, 38. Mehrere Randmarkierungen N.s, Kur-
siviertes von ihm unterstrichen. „Eingeschlossen in den Grenzen der Psycholo-
gie hätte der deutsche Philosoph nicht feierlich, als erstes Prinzip und letztes
Resultat der Philosophie, das Konzept des Unerkennbaren verkünden können,
welches für die Metaphysik so notwendig ist. [...] Er verwandelt die psychologi-