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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0092
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Stellenkommentar AC 10, KSA 6, S. 176 69

sehe Hypothese sofort in eine philosophische und er verwendet sie nicht bloß,
um die geistigen Phänomene, sondern um alle Phänomene im Allgemeinen zu
interpretieren. Neben die von unserem Organismus produzierte phänomenale
Welt setzt Kant eine andere, von dieser unabhängige Welt, die Welt der absolu-
ten Begriffe, die unerreichbar ist für den Verstand, die aber durch einen seltsa-
men Widerspruch oder genauer, durch eine einzigartige Terminologie, für die
Vernunft erreichbar ist. Somit fällt er schwer zurück in den alten metaphysi-
schen Trott.") Kants Kritik habe ein skeptisches Moment zugrundegelegt,
betont Roberty auf derselben Seite. Nach Roberty ist es Kant nicht gelungen,
den Idealismus mit dem Materialismus zu versöhnen (ebd., 39); auch sei sein
Philosophieren eigentlich von seinem ethisch-religiösen Interesse bestimmt
gewesen: „La realite de l'absolu ideal constituait pour lui une arche sainte
qu'il s'efforce de rendre inattaquable, et cette partie de son oeuvre parait infini-
ment plus importante que le developpement de la critique" (Roberty 1887, 40.
„Die Wirklichkeit des idealen Absoluten stellte für ihn eine heilige Arche dar,
die er unangreifbar zu machen sich bemühte. Dieser Teil seines Werkes
erscheint unendlich viel wichtiger als die Entwicklung der Kritik"). N. und
Roberty sind gleichermaßen der Auffassung, dass Kants Immunisierungsstrate-
gie der Metaphysik auf Dauer nicht geholfen habe. Vgl. NK KSA 6, 80, 13-18.
Das Kant-Bild in AC 10 wird von der Roberty-Lektüre bestimmt, während —
gegen Sommer 2000a, 140, Fn. 350 — die Kant-Exzerpte aus NL 1886/87, KSA 12,
7[4], 264-270 hier kaum eine Rolle spielen, aber in AC 11 aufgenommen werden
(diese Exzerpte folgen Fischer 1860).
176, 28 Begriff „wahre Welt"] Vgl. NL 1886/87, KSA 12, 7[3], 254, 9-19: „Die
Transcendentalisten, welche finden, daß alle menschliche Erkenntniß
nicht den Wünschen ihres Herzens genugthut, vielmehr ihnen widerspricht
und Schauder macht, — sie setzen unschuldig eine Welt irgendwo an, welche
dennoch ihren Wünschen entspricht, und die eben nicht unserer Erkenntniß
(sich) zugänglich zeigt: diese Welt, meinen sie, sei die wahre Welt, im Ver-
hältniß zu welcher unsere erkennbare Welt nur Täuschung ist. So Kant, so
schon die Vedanta-Philosophie, so manche Amerikaner. — ,Wahr', das heißt
für sie: was dem Wunsche unseres Herzens entspricht. Ehemals hieß wahr:
was der Vernunft entspricht."
Im System des Vedanta seines Freundes Paul Deussen konnte N. lesen:
„Der Gedanke, dass die empirische Betrachtung der Natur nicht im Stande ist,
uns zur letzten Ergründung des Wesens der Dinge zu führen, tritt uns nicht
nur bei den Indern, sondern auch in der Philosophie des Occidents in mannig-
facher Form entgegen; ja, genau betrachtet, ist dieser Gedanke die eigentliche
Wurzel aller Metaphysik, sofern ohne ihn überhaupt keine Metaphysik entste-
hen oder bestehen kann. [...] /49/ [...] Wenn daher die Metaphysiker alter und
 
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