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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0122
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Stellenkommentar AC 16, KSA 6, S. 182 99

zu 182, 16-20 auch Guyau 1887, VII: „Notre sensibilite, developpee par l'instinct
hereditaire de sociabilite et par l'elan meine de notre imagination, deborde par
delä ce monde, cherche une personne, une grande äme ä qui elle puisse s'atta-
cher, se confier. Nous eprouvons dans la joie le besoin de benir quelqu'un,
dans le malheur, celui de nous plaindre ä quelqu'un, de gemir, de maudire
meme. Il est dur de se resigner ä croire que nul ne nous entend, que nul ne
sympathise de loin avec nous, que le fourmillement de l'univers est entoure
d'une immense solitude. Dieu est l'ami toujours present de la premiere et de
la derniere heure, celui qui nous accompagne partout". (Von N. am Rand mar-
kiert, von ihm Unterstrichenes kursiviert. „Unsere Empfindsamkeit, entwickelt
durch den erblichen Instinkt für Geselligkeit und die Eigendynamik unserer
Vorstellungskraft, überschwemmt diese Welt, sucht eine Person, eine große
Seele, an die sie sich hängen, der sie sich anvertrauen kann. Wir empfinden in
der Freude die Notwendigkeit, jemanden zu preisen, im Unglück jedoch, uns
bei jemandem zu beklagen, zu seufzen, sogar zu verfluchen. Es ist schwierig
sich einzugestehen, dass niemand uns hört, dass niemand von Ferne mit uns
mitfühlt, dass das Gewusel des Universums umgeben ist von einer immensen
Einsamkeit. Gott ist der Freund, der immer da ist von der ersten bis zur letzten
Stunde, der uns überall hin begleitet.").
182, 16 f. Religion, innerhalb solcher Voraussetzungen, ist eine Form der Dank-
barkeit.] In NL 1884, KSA 11, 26[4], 151 hatte sich N. notiert: „,Die Menschen
lieben aus Dankgefühl, aus überströmendem Herzen, weil man dem Tode ent-
ronnen ist' Lagarde p. 54. gegen die ,Humanität'". Die fragliche Stelle steht in
Paul de Lagardes „Bericht" Über die gegenwärtige läge des deutschen reichs:
„das ethische handeln erwächst aus dem dankgefühle für die durch gott und
dessen boten zu teil gewordene, über das physische dasein hinaus hebende
förderung des vor der berührung mit gottes aposteln nur im keime vorhanden
gewesenen geistigen lebens" (Lagarde 1876, 54 = Lagarde 1878, 1, 110). Bei der
Wiederaufnahme des Gedankens in AC geht es nicht um Dankbarkeit für die
bloße Existenz, sondern in Verquickung mit den Überlegungen von Dostojew-
skij und Wellhausen um Dankbarkeit für die ganz konkret umrissene Existenz
jenes starken Volkes, das dankbar ist. Die Pointe besteht darin, dass jener von
Lagarde noch selbstverständlich vorausgesetzte Gott lediglich ein menschli-
ches Konstrukt ist, eigens erfunden, um dieses „Dankgefühl" auszuleben. Zur
Interpretation vgl. Sommer 1998b, 187-189.
182, 20 f. man bewundert ihn im Guten wie im Schlimmen] Vgl. die sehr ähnli-
che Formulierung in GT Versuch einer Selbstkritik 5, KSA 1, 17, 12-18, die (auf
dem Hintergrund von Platons Demiurgen-Mythos im Timaios) die Nähe von
Gott und Künstler in N.s Vorstellungswelt augenfällig macht: „In der That,
 
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