Stellenkommentar AC 20, KSA 6, S. 186-187 113
samkeit, die religiöse und kirchliche Toleranz." (Koeppen 1857-
1859, 1, 461).
187, 12 f. „nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende"] Nach einem
Quellenzitat aus dem Dhammapada bei Oldenberg 1881, 299: ,„Er hat mich
gescholten, er hat mich geschlagen, er hat mich bedrückt, er hat mich
beraubt' — die solchen Gedanken nicht nachhängen, bei denen kommt die
Feindschaft zur Ruhe. Denn nicht durch Feindschaft kommt je Feindschaft zur
Ruhe hienieden; durch Nichtfeindschaft kommt sie zur Ruhe; das ist die Ord-
nung von Ewigkeit her." Das Zitat kehrt wieder in EH Warum ich so weise bin
6, KSA 6, 273, 8 f. Mit einer (letztlich irrationalen) christlichen Feindes/iebe hat
diese buddhistische Haltung nichts zu tun. Guyau 1887, 157 f. (mit Glosse N.s)
stellt fest, dass es der Fehler des Christentums im Unterschied zu seiner „reli-
gion parallele", dem Buddhismus, sei, die Liebe ganz auf Gott zu projizieren.
Vielmehr steht, wie Oldenberg 1881, 298 darlegt, die kühle Kalkulation der
Leidensverminderung hinter der buddhistischen Feindesduldung, die das
Nicht-Rächen-Wollen fordere: „Der Buddhismus gebietet nicht sowohl, seinen
Feind zu lieben, als seinen Feind nicht zu hassen; er erweckt und nährt die
Stimmung freundlicher Güte und Barmherzigkeit gegen alle Wesen, ein Gefühl,
in welchem nicht die grundlos räthselhafte Selbsthingabe des Liebens das trei-
bende Moment ist, sondern vielmehr reflectirende Verständigkeit, die Überzeu-
gung, dass es so für Alle das Beste ist, nicht zum mindesten aber die Erwar-
tung, dass an solches Handeln das Naturgesetz der Vergeltung den reichsten
Lohn knüpfen wird."
Die Differenz zwischen Feindesduldung und Feindesliebe ist fundamental,
denn erstere mündet nicht in die Selbstaufgabe, die die Liebe stets mit sich zu
bringen droht. Feindesliebe ist nach N.s Lesart für Buddha, der „hygienisch"
(186, 31) gegen die depressive Entselbstung vorgehen will, kein probates Mittel,
um den „Egoismus" (187, 20 f.) wieder anzustacheln, der jedem gebietet, gegen
sein eigenes Leiden zu kämpfen. Buddha unterscheidet sich hierin auch maß-
geblich von Jesus, wie er in AC 29-31 erscheint: Jesus wird zwar ebenfalls von
„einer extremen Leid- und Reizfähigkeit" (AC 30, KSA 6, 201, lf.) heimgesucht,
folgt jedoch dem entgegengesetzten Weg, nämlich einer „Instinkt-Aus-
schliessung aller Abneigung, aller Feindschaft, aller Gren-
zen und Distanzen im Gefühl" (AC 30, KSA 6, 200, 31-201, 1). Der
besonnenen Strategie Buddhas, Leiden durch das Individualinteresse an der
Leidensminderung zu kanalisieren, indem man Grenzen errichtet, die involvie-
rende Anteilnahme am universellen Leiden ersparen, steht die jesuanische
Selbstaufgabe entgegen, die in der Einheit mit Gott und der Welt alles individu-
elle Leiden hinter sich zurücklässt. Dennoch mute Jesu „Erscheinung" an „wie
samkeit, die religiöse und kirchliche Toleranz." (Koeppen 1857-
1859, 1, 461).
187, 12 f. „nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende"] Nach einem
Quellenzitat aus dem Dhammapada bei Oldenberg 1881, 299: ,„Er hat mich
gescholten, er hat mich geschlagen, er hat mich bedrückt, er hat mich
beraubt' — die solchen Gedanken nicht nachhängen, bei denen kommt die
Feindschaft zur Ruhe. Denn nicht durch Feindschaft kommt je Feindschaft zur
Ruhe hienieden; durch Nichtfeindschaft kommt sie zur Ruhe; das ist die Ord-
nung von Ewigkeit her." Das Zitat kehrt wieder in EH Warum ich so weise bin
6, KSA 6, 273, 8 f. Mit einer (letztlich irrationalen) christlichen Feindes/iebe hat
diese buddhistische Haltung nichts zu tun. Guyau 1887, 157 f. (mit Glosse N.s)
stellt fest, dass es der Fehler des Christentums im Unterschied zu seiner „reli-
gion parallele", dem Buddhismus, sei, die Liebe ganz auf Gott zu projizieren.
Vielmehr steht, wie Oldenberg 1881, 298 darlegt, die kühle Kalkulation der
Leidensverminderung hinter der buddhistischen Feindesduldung, die das
Nicht-Rächen-Wollen fordere: „Der Buddhismus gebietet nicht sowohl, seinen
Feind zu lieben, als seinen Feind nicht zu hassen; er erweckt und nährt die
Stimmung freundlicher Güte und Barmherzigkeit gegen alle Wesen, ein Gefühl,
in welchem nicht die grundlos räthselhafte Selbsthingabe des Liebens das trei-
bende Moment ist, sondern vielmehr reflectirende Verständigkeit, die Überzeu-
gung, dass es so für Alle das Beste ist, nicht zum mindesten aber die Erwar-
tung, dass an solches Handeln das Naturgesetz der Vergeltung den reichsten
Lohn knüpfen wird."
Die Differenz zwischen Feindesduldung und Feindesliebe ist fundamental,
denn erstere mündet nicht in die Selbstaufgabe, die die Liebe stets mit sich zu
bringen droht. Feindesliebe ist nach N.s Lesart für Buddha, der „hygienisch"
(186, 31) gegen die depressive Entselbstung vorgehen will, kein probates Mittel,
um den „Egoismus" (187, 20 f.) wieder anzustacheln, der jedem gebietet, gegen
sein eigenes Leiden zu kämpfen. Buddha unterscheidet sich hierin auch maß-
geblich von Jesus, wie er in AC 29-31 erscheint: Jesus wird zwar ebenfalls von
„einer extremen Leid- und Reizfähigkeit" (AC 30, KSA 6, 201, lf.) heimgesucht,
folgt jedoch dem entgegengesetzten Weg, nämlich einer „Instinkt-Aus-
schliessung aller Abneigung, aller Feindschaft, aller Gren-
zen und Distanzen im Gefühl" (AC 30, KSA 6, 200, 31-201, 1). Der
besonnenen Strategie Buddhas, Leiden durch das Individualinteresse an der
Leidensminderung zu kanalisieren, indem man Grenzen errichtet, die involvie-
rende Anteilnahme am universellen Leiden ersparen, steht die jesuanische
Selbstaufgabe entgegen, die in der Einheit mit Gott und der Welt alles individu-
elle Leiden hinter sich zurücklässt. Dennoch mute Jesu „Erscheinung" an „wie