302 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum
tiert und nicht bloß einem langen Prozess der inneren Aushöhlung zum Opfer
gefallen ist.
251, 9 Cesare Borgia als Papst...] Vgl. NK 224, 1-7, NK KSA 6, 136, 14
sowie JGB 197, KSA 5, 117. „Cesare Borgia als Papst — das wäre der Sinn
der Renaissance, ihr eigentliches Symbol", schrieb N. am 20. 11. 1888 an Bran-
des (KSB 8, Nr. 1151, S. 483). Die romanhafte Vision von Cesare Borgia (1475-
1507) als Papst, der es als Sohn von Papst Alexander VI. in der kirchlichen
Laufbahn bis zu seinem Ämterverzicht 1498 immerhin zum Erzbischof von
Valencia und zum Kardinal gebracht hatte, soll die Umwertung der historiogra-
phischen Beurteilungskriterien sanktionieren. Cesare Borgia, Inbegriff der
Renaissance-Bestie, die vor keiner Untat zurückschreckte und für die Hochach-
tung zu empfinden einen Machiavelli in Verruf gebracht hat, war schon Burck-
hardt eingehendere Spekulationen wert: „Zunächst ist auch hier [sc. bei Ercole
Strozza] von Cesare's Aussicht auf das Papsttum die Rede, allein dazwischen
tönt etwas von einer gehofften Herrschaft über Italien im allgemeinen, und am
Ende wird angedeutet, dass Cesare gerade als weltlicher Herrscher das Grösste
vorgehabt und deshalb einst den Kardinalshut niedergelegt habe. In der Tat
kann kein Zweifel darüber walten, dass Cesare, nach Alexanders Tod zum
Papst gewählt oder nicht, den Kirchenstaat um jeden Preis zu behaupten
gedachte und dass er dies, nach allem, was er verübt hatte, als Papst unmög-
lich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, so hätte er den Kirchen-
staat säkularisiert und hätte es tun müssen, um dort weiter zu herrschen. Trügt
uns nicht Alles, so ist dies der wesentliche Grund der geheimen Sympathie,
womit Macchiavell den grossen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von
Niemand durfte er hoffen, dass er ,das Eisen aus der Wunde ziehe', d. h. das
Papsttum, die Quelle aller Interventionen und aller Zersplitterung Italiens, zer-
nichte." (Burckhardt 1989, 122 f.) Burckhardt erkennt bei Cesare Borgia einen
absoluten Vorrang der Machtinteressen. Das hätte beim Erfolg seiner Politik
unweigerlich zur Liquidation des Kirchenstaates geführt: „Und was würde
Cesare getan haben, wenn er im Augenblick, da sein Vater starb, nicht eben-
falls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Konklave wäre das geworden,
wenn er sich einstweilen, mit all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift
zweckmässig reduziertes Kardinalskollegium zum Papst wählen liess, zumal in
einem Augenblick, da keine französische Armee in der Nähe gewesen wäre!
Die Phantasie verliert sich, sobald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen
Abgrund. / Statt dessen folgte das Konklave Pius III. und nach dessen baldigem
Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reak-
tion." (Ebd., 126) Burckhardt kann der Vision eines Cesare Borgia als Papst
wenig Erfreuliches abgewinnen. Er erkennt darin nicht den endgültigen Tri-
umph des Antichristentums, sondern den Gipfel des Lasters und schätzt dabei
tiert und nicht bloß einem langen Prozess der inneren Aushöhlung zum Opfer
gefallen ist.
251, 9 Cesare Borgia als Papst...] Vgl. NK 224, 1-7, NK KSA 6, 136, 14
sowie JGB 197, KSA 5, 117. „Cesare Borgia als Papst — das wäre der Sinn
der Renaissance, ihr eigentliches Symbol", schrieb N. am 20. 11. 1888 an Bran-
des (KSB 8, Nr. 1151, S. 483). Die romanhafte Vision von Cesare Borgia (1475-
1507) als Papst, der es als Sohn von Papst Alexander VI. in der kirchlichen
Laufbahn bis zu seinem Ämterverzicht 1498 immerhin zum Erzbischof von
Valencia und zum Kardinal gebracht hatte, soll die Umwertung der historiogra-
phischen Beurteilungskriterien sanktionieren. Cesare Borgia, Inbegriff der
Renaissance-Bestie, die vor keiner Untat zurückschreckte und für die Hochach-
tung zu empfinden einen Machiavelli in Verruf gebracht hat, war schon Burck-
hardt eingehendere Spekulationen wert: „Zunächst ist auch hier [sc. bei Ercole
Strozza] von Cesare's Aussicht auf das Papsttum die Rede, allein dazwischen
tönt etwas von einer gehofften Herrschaft über Italien im allgemeinen, und am
Ende wird angedeutet, dass Cesare gerade als weltlicher Herrscher das Grösste
vorgehabt und deshalb einst den Kardinalshut niedergelegt habe. In der Tat
kann kein Zweifel darüber walten, dass Cesare, nach Alexanders Tod zum
Papst gewählt oder nicht, den Kirchenstaat um jeden Preis zu behaupten
gedachte und dass er dies, nach allem, was er verübt hatte, als Papst unmög-
lich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, so hätte er den Kirchen-
staat säkularisiert und hätte es tun müssen, um dort weiter zu herrschen. Trügt
uns nicht Alles, so ist dies der wesentliche Grund der geheimen Sympathie,
womit Macchiavell den grossen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von
Niemand durfte er hoffen, dass er ,das Eisen aus der Wunde ziehe', d. h. das
Papsttum, die Quelle aller Interventionen und aller Zersplitterung Italiens, zer-
nichte." (Burckhardt 1989, 122 f.) Burckhardt erkennt bei Cesare Borgia einen
absoluten Vorrang der Machtinteressen. Das hätte beim Erfolg seiner Politik
unweigerlich zur Liquidation des Kirchenstaates geführt: „Und was würde
Cesare getan haben, wenn er im Augenblick, da sein Vater starb, nicht eben-
falls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Konklave wäre das geworden,
wenn er sich einstweilen, mit all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift
zweckmässig reduziertes Kardinalskollegium zum Papst wählen liess, zumal in
einem Augenblick, da keine französische Armee in der Nähe gewesen wäre!
Die Phantasie verliert sich, sobald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen
Abgrund. / Statt dessen folgte das Konklave Pius III. und nach dessen baldigem
Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reak-
tion." (Ebd., 126) Burckhardt kann der Vision eines Cesare Borgia als Papst
wenig Erfreuliches abgewinnen. Er erkennt darin nicht den endgültigen Tri-
umph des Antichristentums, sondern den Gipfel des Lasters und schätzt dabei