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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0367
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344 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

einlädt. Wer hingegen höchsten intellektuellen Anforderungen genüge und
dem sprechenden Ich „durch Höhe des Wollens verwandt" (302, 21 f.) sei,
werde aus diesen Schriften einen unerhörten Genuss ziehen — es handle sich
um die besten Bücher, die jemals geschrieben worden seien, ausgezeichnet
namentlich durch „Kunst des Stils" (304, 6) sowie psychologische Durch-
dringungskraft.
Sodann schreitet N. seinen Schaffensweg ab, wobei er Die Geburt der Tra-
gödie, die Unzeitgemässen Betrachtungen, Menschliches, Allzumenschliches,
Morgenröthe, Die fröhliche Wissenschaft, Also sprach Zarathustra, Jenseits von
Gut und Böse, Zur Genealogie der Moral, Götzen-Dämmerung und den Fall Wag-
ner in dieser Reihenfolge und in einzelnen Kapiteln mit teilweise mehreren
Unterkapiteln abhandelt und damit zu einer Einheit bündelt. Aus der chronolo-
gischen Anordnung der Schriften nach der Entstehungszeit fallen Götzen-Däm-
merung und Der Fall Wagner heraus, die zwar beide 1888, jedoch in umgekehr-
ter Reihenfolge geschrieben wurden. Der Antichrist fehlt überhaupt, denn EH
soll ja als ganzes Werk auf die Umwertung aller Werte, damit auf den Antichrist
vorbereiten. Die Werkkapitel lassen sich als Lektüreanweisungen lesen, die re-
trospektiv nicht nur eine Einheit in das Werk hineinlesen, sondern bestimmte
Züge in diesen Werken überakzentuieren und zugleich auf einzelne Entste-
hungsumstände aufmerksam machen. Bei der Interpretation dieser Schriften
selbst ist man übrigens gut beraten, sich nicht zu sehr von den Lektüreanwei-
sungen in EH leiten zu lassen, da man sich sonst zwangsläufig die vereinheitli-
chende Perspektive N.s im Vorgriff auf die „Umwerthung aller Werthe" von
1888 zu eigen machen und die Werke im einzelnen teleologisch daraufhin
lesen würde. Dass man dies tut, ist zweifellos N.s Wirkungsabsicht, welcher
der an der Eigengesetzlichkeit des Einzelwerkes interessierte Leser aber mit
Vorteil nicht gehorcht.
EH Warum ich ein Schicksal bin eröffnet den Ausblick auf das Ich in seiner
weltgeschichtlichen Sendung. Sie werde bald allen offenbar, nämlich in Gestalt
einer „Krisis, wie es keine auf Erden gab" (365, 5), dem apokalyptischen Kon-
flikt zwischen der alten und der neuen Wertordnung. Erst von diesem die Welt
als Schicksal bestimmenden Ich an gebe es „auf Erden grosse Politik"
(366, 17). Die Zarathustra-Gestalt wird als Prophet des neuen Zeitalters inaugu-
riert — das Ich versteht sich als Immoralist, dessen Aufgabe die Entlarvung
der bisherigen Moral, einschließlich des Christentums ist. Lebens- und Weltbe-
jahung soll an die Stelle von Lebens- und Weltverneinung treten. „Dionysos
gegen den Gekreuzigten" (374, 31 f.) ist dafür die Formel, mit der EH in
der uns überlieferten Fassung endet.
 
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