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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0370
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Überblickskommentar 347

mund Freud gab kurz nach Erscheinen von EH in der Mittwochs-Gesellschaft
der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 28. Oktober 1908 zu Protokoll:
„Wo die Paralyse große Geister befallen hat, sind außerordentliche Leistungen
bis kurz vor der Krankheit zustandegebracht worden (Maupassant). Das Kenn-
zeichen dafür, daß diese Arbeit Nietzsches [sc. EH] als eine vollwertige und
ernste aufzufassen ist, bietet uns die Erhaltung der Meisterschaft in der Form."
(Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1976-1981, 2, 56).
Robert Musil fand in EH „Momente -»Ansätze zum Sthenisch-Manischem« der
Inspiration" „[wjunderbar" beschrieben und benutzte Elemente des Werkes
bereits als Vorlage für seine Alice-Figur (später Clarisse im Mann ohne Eigen-
schaften): „Wie sie als Karrikatur wörtlich nach den persönlichen Erkenntnis-
sen u. Rezepten Nietzsches lebt." (Tagebuch, 13. 12. 1911, Musil 1976, 1, 251) Im
George-Kreis stand man EH hingegen eher reserviert gegenüber, jedenfalls
dann, wenn man Ernst Gundolf trauen darf: „Ein Zeugnis des Wahnsinns ist
auch das Buch Ecce homo. Obwohl die Kraft der Rede darin noch aufs höchste
gesteigert und der Fluß des Gedankens nirgends unterbrochen ist, verrät sich
das Nahen des Zusammenbruchs schon deutlich in der gigantischen Vergröße-
rung selbst wirklicher Kleinheit, die als Selbstschau von überweltlicher Größe
hingestellt ist. Es ist eins der unheimlichsten Zeichen unsrer Zeit, daß auch
dieser Ton sogleich Schule gebildet hat, und daß vielleicht die gelehrigsten
und hellhörigsten von Nietzsches Schülern sich in gleicher Art wahnsinnig
stellen, selbst wo sie es nicht sind." (Gundolf / Hildebrandt 1923, 54) Ob man
dies als versteckte Selbstkritik des George-Kreises lesen soll, stehe dahin. Ent-
scheidend hat EH schließlich auf die Gestaltung des Künstler-Schicksals von
Adrian Leverkühn in Thomas Manns Doktor Faustus eingewirkt (dazu im ein-
zelnen NK 290, 7-10; 339, 9-21 u. 342, 29-32).
Relativ früh, wenn auch nur vereinzelt, wird EH zum Ausgangspunkt von
Gesamtdeutungen von N.s Denken und Leben gemacht. So betonte Josef Spind-
ler in Nietzsches Persönlichkeit und Lehre im Lichte seines „Ecce homo" 1913
nicht nur die trotz der Anzeichen des Größenwahnes und des Taktmangels (in
den Ausfälligkeiten gegen die Deutschen!) sichtbare systematische Geschlos-
senheit von EH, sondern auch, dass sich hier „Persönlichkeit" und „Lehre" am
deutlichsten, aber auch in ihrem inneren Widerspruch zeigten. In seinem gro-
ßen N.-Buch von 1913 strich Richard M. Meyer die „praktische Absicht" heraus,
die N. mit EH verfolgt habe: „Nietzsche stellt sich hier dar nicht als Übermen-
schen [...] aber als ,Brücke zum Übermenschen', als der reinste und höchste
Typus des ,höheren Menschen'. Nicht um des Selbstruhms willen — sondern
in praktischer Absicht; er erzählt sein Leben, wie Christus sein Gebet spricht:
damit es nachgeahmt werde. Nietzsche will zweierlei zeigen — das sagt der
Untertitel —: wie von allem Anfang an in ihm dieser ,höhere Mensch' steckte,
 
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