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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0377
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354 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

nichts als liebender Allumarmung bestehenden Kriegführung — und, gerade
dieser Aspekt scheint mir hier für Nietzsche zentral, der Gottgleichheit in der
Verkennung." Freilich hat N. in AC Jesus gerade nicht als Gottmenschen sehen
wollen. Der Titel Ecce homo lässt sich — auch im Seitenblick auf die wahr-
scheinliche Napoleon-Goethe-Anspielung — durchaus als triumphatorische
Überbietungsgeste lesen: In der so betitelten Schrift wird zwar auch die phy-
sisch-psychische Disposition des weltgeschichtlichen Ichs verhandelt, aber
doch um genau in ihrer Mitte die Werke buchstäblich in den Mittelpunkt zu
stellen, die dieses Ich hervorgebracht hat. Solche Werke, überhaupt Werke, hat
Jesus nach AC nicht hervorzubringen vermocht.
255, 2 Wie man wird, was man ist.] Vgl. Pindar: Pythische Oden II, 72: „yevot'
oi'o(; eooi paOwv" („werde der, der du bist"). In Mp XVI, 5, 6, d. h. in der
Oktober-Fassung von EH lautet der Zwischentitel wie folgt: „Wie man wird,
was man ist. / Planer au dessus et avoir / des griffes, voilä le lot des grands
genies. / Galiani / Begonnen am 15. Oktober, beendet am 4. November 1888,
in Turin." (KSA 14, 470) Das Zitat („Planer au-dessus et avoir des griffes, voilä
le lot des grands genies" — „Über Allem zu schweben und Krallen zu besitzen,
dies ist das Los der großen Genies") stammt aus Galianis Brief an Madame
d'Epinay, 24. 11. 1770. N. hat den Satz in seiner Ausgabe unterstrichen und am
Rande markiert (Galiani 1882, 1, 177).
Die Zwischenstufe verzeichnet noch einen Hinweis für den Drucker
„Darauf [sc. nach dem Titelblatt] ein Blatt, auf dem nur die Worte stehn: Wie
man wird, was man ist. / Turin, den 15. Oktober 1888." (KSA 14, 470)
Der Untertitel von EH lässt sich als Pointierung eines Grundgedankens von N.s
später Philosophie verstehen, nämlich des Grundgedankens der Selbstüber-
windung, vgl. NK 367, 22-25. Auch in FW 270, KSA 3, 519, 8 f. hatte N. Pindars
Vers in sein Philosophieren transponiert: „Was sagt dein Gewissen? —
,Du sollst der werden, der du bist."' (Vgl. Za IV Das Honig-Opfer, KSA 4, 297)
In FW 335 münzt N. den Vers zu einer existenzleitenden Maxime um, indem
er ihn zugleich inhaltlich füllt und ihm einen Orientierungsrahmen — die Phy-
sik! — verleiht: „Wir aber wollen Die werden, die wir sind, — die
Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden,
die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu müssen wir die besten Lerner und Ent-
decker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir müssen
Physiker sein, um, in jenem Sinne, Schöpfer sein zu können, — während
bisher alle Werthschätzungen und Ideale auf Unkenntniss der Physik oder
im Widerspruch mit ihr aufgebaut waren." (KSA 3, 563, 28-564, 2) Im
unpersönlichen „man" des EH-Untertitels drückt sich auch ein adhortatives
Moment aus: Jeder soll werden, wer er ist, mit Hilfe dieses Buches.
 
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