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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0386
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Stellenkommentar EH weise, KSA 6, S. 262-264 363

Neutralität, jene Freiheit von Partei im Verhältniss zum Gesammtprobleme des
Lebens, die mich vielleicht auszeichnet.] N. assoziiert seinen frühverstorbenen
Vater Carl Ludwig N. (1813-1849) im Folgenden mit Morbidität und decadence,
seine noch lebende Mutter Franziska N., geborene Oehler (1826-1897), mit Vita-
lität. Er nimmt für sich in Anspruch, die decadence überlebt, überwunden,
aber sie doch an sich selbst, als väterliches Erbteil, erfahren zu haben (vgl. NK
265, 31-33). Das ,Rätsel' spielt auch mit der theologischen Vorstellung, wonach
in Christus der (freilich noch nicht verstorbene) Vater lebe: „Ich und der Vater
sind eins." (Johannes 10, 30) Die große Bandbreite der Interpretationen von
264, 4-11 decken Derrida 2005; Kittler 1980, 156 f.; Langer 2005, 102 f.; Schulte
1995, 21 f.; Skowron 2004, 87-89; Volz 2002; Müller-Lauter 1999, 243; Steinbuch
1994, 17-22 u. 86 f.; Balkenohl 1976, 173 und Kreis 1995, 141 ab.
264, 8-11 erklärt jene Neutralität, jene Freiheit von Partei im Verhältniss zum
Gesammtprobleme des Lebens, die mich vielleicht auszeichnet] In GD Das Pro-
blem des Sokrates 2, KSA 6, 68, 10-19 und GD Moral als Widernatur 5, KSA 6,
86, 6-14 wird allerdings festgehalten, dass kein Lebender (erst recht kein Philo-
soph) tatsächlich einen Standpunkt jenseits des Lebens einnehmen könne, um
über dessen Wert oder Unwert zu befinden (oder neutral zu sein). Genau dies
tun die decadents, die das Leben meinen verurteilen zu können. So fragt sich,
wie das Ich in EH eine solche „Neutralität" in der Betrachtung des „Lebens"
einnehmen zu können glaubt, zumal das Ich anderer N.-Texte ständig für das
Leben Partei nimmt. EH Warum ich so weise bin 1 lässt sich als Metareflexion
auf die Bedingungen des eigenen Sprechens verstehen — als eines Sprechens,
das sich in seiner Kontingenz durchschaut.
264, 14 Mein Vater starb mit sechsunddreissig Jahren] Carl Ludwig N. starb am
30. Juli 1849. Entgegen der von Elisabeth Förster-N. später verbreiteten Fabel,
er sei den Folgen eines Treppensturzes erlegen, vermerken der behandelnde
Arzt und das Kirchenbuch in Röcken „Gehirnerweichung" als Todesursache
(vgl. die zeitgenössischen Zeugnisse in CBT 12 f).
264, 19 f. ich lebte noch, doch ohne drei Schritt weit vor mich zu sehn] Vgl.
z. B. Cosima Wagners Brief an Carl von Gersdorff, 06. 07. 1879: „Die traurigsten
Nachrichten kamen zu uns über N. Sichere Erblindung in Aussicht, Niederle-
gung der Professur, Furcht vor äusserster Noth!" (KSA 15, 105).
264, 20 f. Damals — es war 1879 — legte ich meine Basler Professur nieder]
Sein Entlassungsgesuch formuliert N. im Brief an Carl Burckhardt vom 02. 05.
1879, KSB 5, Nr. 846, S. 411 f. Sein 35. Geburtstag fiel erst auf den 15. 10. 1879,
er war bei seinem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst also noch nicht „im
sechsunddreissigsten Lebensjahre" (264, 18 f.).
 
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