Stellenkommentar EH weise, KSA 6, S. 266-267 369
sprach, sondern sich überzeugt gab: „Die Fähigkeit zur Selbsterziehung beruht
grossenteils darauf, ob man die Kunst des Vergessens üben kann." (Ebd., 203)
Daran schließt ein Vers in NL 1888, KSA 13, 20[46], 557, 11 an: „Göttlich ist
des Vergessens Kunst!" Das variiert N.s Überlegungen zur Wünschbarkeit des
Vergessens in der Zweiten unzeitgemässen Betrachtung (UB II HL 1, KSA 1, 248-
254), vgl. z. B.: „Bei dem kleinsten aber und bei dem grössten Glücke ist es
immer Eines, wodurch Glück zum Glücke wird: das Vergessen-können oder,
gelehrter ausgedrückt, das Vermögen, während seiner Dauer unhistorisch zu
empfinden. [...] Zu allem Handeln gehört Vergessen: wie zum Leben alles Orga-
nischen nicht nur Licht, sondern auch Dunkel gehört. Ein Mensch, der durch
und durch nur historisch empfinden wollte, wäre dem ähnlich, der sich des
Schlafes zu enthalten gezwungen würde, oder dem Thiere, das nur vom Wie-
derkäuen und immer wiederholten Wiederkäuen leben sollte." (KSA 1, 250, 5-
26).
3
Zur abenteuerlichen Unterdrückungs- und Publikationsgeschichte dieses
Abschnitts (267, 30-269, 7), der von Elisabeth Förster-N. unterschlagen, jedoch
von Peter Gast kopiert worden ist, siehe ausführlich Montinari 1972 und Hahn /
Montinari 1985, 63-67. Die endgültige Fassung des Abschnitts 3 erhielt der Ver-
leger Naumann von N. am 30. oder 31. 12. 1888 zugeschickt mit dem Ersuchen,
den bisherigen Abschnitt 3 zu ersetzen. N. hatte am 29. 12. 1888 aus Turin
diverse Änderungen und Zusätze abgehen lassen, obwohl er den ersten Bogen
von EH bereits am 18. 12. 1888 für druckfertig erklärt hatte (das ist gut zu sehen
auf der digitalen Faksimile-Edition des ersten Korrekturbogenblattes http://
www.nietzschesource.org/facsimiles/DFGA/K-14,1). Der Faktor in der Druckerei
wies Naumann auf die „stark verletzende Form" dieses gegen Mutter und
Schwester gerichteten Textes hin, worauf dieser den Passus zunächst nicht in
den von N. imprimierten Bogen aufnehmen ließ, da er über die Angelegenheit
von N. noch nähere Erläuterung wünschte. Naumann konnte rückblickend
auch das Manuskriptblatt selbst genau beschreiben (siehe KSA 14, 461). Nach
N.s geistiger Umnachtung blieb das Blatt in Naumanns Schreibpult, bis Köse-
litz es im Auftrag von Elisabeth Förster Anfang Februar 1892 abholte und am
9. Februar 1892 nach Naumburg schickte mit folgenden Begleitworten: „Ich war
also erst Montag früh bei Naumann. Telephonisch wurde auch sein Neffe [sc.
Gustav Naumann] gerufen. Zunächst eignete ich mir, mit Einwilligung Nau-
mann's das beifolgende Blatt zu Ecce homo an, Ich glaube nicht, daß Naumann
eine Copie davon hat: es lag noch in dem Kasten und an der Stelle, wo es
sprach, sondern sich überzeugt gab: „Die Fähigkeit zur Selbsterziehung beruht
grossenteils darauf, ob man die Kunst des Vergessens üben kann." (Ebd., 203)
Daran schließt ein Vers in NL 1888, KSA 13, 20[46], 557, 11 an: „Göttlich ist
des Vergessens Kunst!" Das variiert N.s Überlegungen zur Wünschbarkeit des
Vergessens in der Zweiten unzeitgemässen Betrachtung (UB II HL 1, KSA 1, 248-
254), vgl. z. B.: „Bei dem kleinsten aber und bei dem grössten Glücke ist es
immer Eines, wodurch Glück zum Glücke wird: das Vergessen-können oder,
gelehrter ausgedrückt, das Vermögen, während seiner Dauer unhistorisch zu
empfinden. [...] Zu allem Handeln gehört Vergessen: wie zum Leben alles Orga-
nischen nicht nur Licht, sondern auch Dunkel gehört. Ein Mensch, der durch
und durch nur historisch empfinden wollte, wäre dem ähnlich, der sich des
Schlafes zu enthalten gezwungen würde, oder dem Thiere, das nur vom Wie-
derkäuen und immer wiederholten Wiederkäuen leben sollte." (KSA 1, 250, 5-
26).
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Zur abenteuerlichen Unterdrückungs- und Publikationsgeschichte dieses
Abschnitts (267, 30-269, 7), der von Elisabeth Förster-N. unterschlagen, jedoch
von Peter Gast kopiert worden ist, siehe ausführlich Montinari 1972 und Hahn /
Montinari 1985, 63-67. Die endgültige Fassung des Abschnitts 3 erhielt der Ver-
leger Naumann von N. am 30. oder 31. 12. 1888 zugeschickt mit dem Ersuchen,
den bisherigen Abschnitt 3 zu ersetzen. N. hatte am 29. 12. 1888 aus Turin
diverse Änderungen und Zusätze abgehen lassen, obwohl er den ersten Bogen
von EH bereits am 18. 12. 1888 für druckfertig erklärt hatte (das ist gut zu sehen
auf der digitalen Faksimile-Edition des ersten Korrekturbogenblattes http://
www.nietzschesource.org/facsimiles/DFGA/K-14,1). Der Faktor in der Druckerei
wies Naumann auf die „stark verletzende Form" dieses gegen Mutter und
Schwester gerichteten Textes hin, worauf dieser den Passus zunächst nicht in
den von N. imprimierten Bogen aufnehmen ließ, da er über die Angelegenheit
von N. noch nähere Erläuterung wünschte. Naumann konnte rückblickend
auch das Manuskriptblatt selbst genau beschreiben (siehe KSA 14, 461). Nach
N.s geistiger Umnachtung blieb das Blatt in Naumanns Schreibpult, bis Köse-
litz es im Auftrag von Elisabeth Förster Anfang Februar 1892 abholte und am
9. Februar 1892 nach Naumburg schickte mit folgenden Begleitworten: „Ich war
also erst Montag früh bei Naumann. Telephonisch wurde auch sein Neffe [sc.
Gustav Naumann] gerufen. Zunächst eignete ich mir, mit Einwilligung Nau-
mann's das beifolgende Blatt zu Ecce homo an, Ich glaube nicht, daß Naumann
eine Copie davon hat: es lag noch in dem Kasten und an der Stelle, wo es