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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0394
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Stellenkommentar EH weise, KSA 6, S. 267 371

es giebt, in dem Maß instinktrein zu finden, in dem ich sie darstelle. Ich habe
gegen Alles was Adel heißt, ein souveraines Gefühl von Distinktion, ich würde
den jungen deutschen Kaiser nicht in meinem Wagen als meinen Kutscher
ertragen. Es giebt einen einzigen Fall, daß ich meines Gleichen gefunden
habe — ich bekenne es mit Dankbarkeit. Frau Cosima Wagner ist bei weitem
die vornehmste Natur, die es giebt und, im Verhältniß zu mir, habe ich ihre
Ehe mit Wagner immer nur als Ehebruch interpretirt... der Fall Tristan" (KSA 14,
473). „Alle herrschenden Begriffe über Verwandtschaftsgrade sind ein physio-
logischer Widersinn, der nicht übertroffen werden kann. Man ist am wenigsten
mit seinen Eltern verwandt; die Geschwister-Ehe, wie sie z. B. bei den aegypti-
schen K(öni)gr(ei)chsfamilien Regel war, ist so wenig widernatürlich, daß im
Verhältniß dazu, jede Ehe beinahe Incest ist... Seinen Eltern ähnlich sein ist
das ächteste Zeichen von Gemeinheit: die höheren Naturen haben ihren
Ursprung unendlich weiter zurück, auf sie hin hat am längsten gesammelt,
gespart werden müssen, — das große Individuum ist das älteste Individuum, —
ein Atavismus." (KSA 14, 473 f.).
Die ursprüngliche Fassung von Warum ich so weise bin 3, die in den
Druckausgaben vor Colli / Montinari abgedruckt ist und dem imprimierten Kor-
rekturbogen entspricht, lautet: „Diese doppelte Reihe von Erfahrungen,
diese Zugänglichkeit zu anscheinend getrennten Welten wiederholt sich in mei-
ner Natur in jeder Hinsicht, — ich bin ein Doppelgänger, ich habe auch das
,zweite' Gesicht noch äusser dem ersten. Und vielleicht auch noch das dritte...
Schon meiner Abkunft nach ist mir ein Blick erlaubt jenseits aller bloss lokal,
bloss national bedingten Perspectiven, es kostet mich keine Mühe, ein ,guter
Europäer' zu sein. Andrerseits bin ich vielleicht mehr deutsch, als jetzige Deut-
sche, blosse Reichsdeutsche es noch zu sein vermöchten, — ich, der letzte
antipolitische Deutsche. Und doch waren meine Vorfahren polnische
Edelleute: ich habe von daher viel Rassen-Instinkte im Leibe, wer weiss?
zuletzt gar noch das liberum veto. Denke ich daran, wie oft ich unterwegs als
Pole angeredet werde und von Polen selbst, wie selten man mich für einen
Deutschen nimmt, so könnte es scheinen, dass ich nur zu den angespren-
kelten Deutschen gehörte. Aber meine Mutter, Franziska Oehler, ist jedenfalls
etwas sehr Deutsches; insgleichen meine Grossmutter väterlicher Seits, Erdmu-
the Krause. Letztere lebte ihre ganze Jugend mitten im guten alten Weimar,
nicht ohne Zusammenhang mit dem Goethe'schen Kreise. Ihr Bruder, der Pro-
fessor der Theologie Krause in Königsberg, wurde nach Herder's Tode als Gene-
ralsuperintendent nach Weimar berufen. Es ist nicht unmöglich, dass ihre Mut-
ter, meine Urgrossmutter, unter dem Namen ,Muthgen' im Tagebuch des jungen
Goethe vorkommt. Sie verheirathete sich zum zweiten Mal mit dem Superinten-
denten Nietzsche in Eilenburg; an dem Tage des grossen Kriegsjahrs 1813, wo
 
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