396 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
eine Undelicatesse gegen uns Denker —, im Grunde sogar bloss ein faustgrobes
Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!...] „Du sollst nicht erkennen" (AC 48,
KSA 6, 227, 12), lautet die Quintessenz, die N. aus der Sündenfallgeschichte in
Genesis 3 zieht: Priesterliches Interesse stehe hinter diesem Denkverbot, das
mit der Erfindung Gottes als Letztinstanz alle darüber hinausreichenden Fra-
gen abblocke. Allerdings ist im atheistischen Bekenntnis des sprechenden Ichs
278, 21-279. 3 nicht klar, auf welche Fragen Gott denn eigentlich eine „faust-
grobe" und damit unbrauchbare „Antwort" sein soll. Fragwürdigkeit ist für
das Ich, das hier Bausteine seiner Genealogie erschließt, offensichtlich auch
erstrebenswert als Verzicht auf vorauseilende, wenn nicht überhaupt auf alle
Antworten.
279, 3-9 Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das „Heil der
Menschheit" hängt, als an irgend einer Theologen-Curiosität: die Frage der
Ernährung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formuliren: „wie hast
gerade du dich zu ernähren, um zu deinem Maximum von Kraft, von Virtü im
Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?"] Über den Zusam-
menhang von Wachstum und Ernährung hat sich N. nach Ausweis der Lese-
spuren bei Rolph 1884, 96 f. kundig gemacht: „Gesteigerte Ausgaben, mögen
sie auf Wachsthum, auf Fortpflanzung, auf Energie der Arbeitsleistung, kurz
auf was immer beruhen, sind Folge von gesteigerter, von besserer und vollerer
Ernährung. [...] Man vergleiche einen Arbeiter, der sich rationell und solide
ernährt, mit dem, welcher den Alkohol dem Fleisch vorzieht, bei der Arbeit,
und man wird sich überzeugen, dass die gute Nahrung nicht nur die Kraft,
sondern auch die Arbeitsfreudigkeit, die Anregung zur Arbeit, zur Bethätigung
die Kraft, giebt. Die Zähigkeit, die Energie und der Unternehmungsgeist der
englischen und amerikanischen Nation werden mit Recht auf die rationellere
und bessere Ernährung zurückgeführt. Wohl ein jeder hat Momente gekannt,
wo er, im guten Ernährungszustand, und im Vollgefühle von Kraft und Gesund-
heit, sich nicht nur jeder Unternehmung gewachsen, sondern auch einen
Drang fühlte, diesem von innen wirkenden Drucke nachzugeben." (Rolph 1884,
96. Von N. mehrfach am Rand markiert; hier Kursiviertes von ihm unterstri-
chen.) Vgl. auch NL 1884, KSA 11, 27[72], 292 f. und im Anschluss an Fere 1888
NL 1888, KSA 13, 15[37], 429. Im Horizont der Darwinschen Evolutionstheorie
erörtert Nägeli 1884, 316-326 die „Wirkung der Ernährungseinflüsse" (von N.
mit einigen Anstreichungen versehen). Zur Interpretation von N.s Diätetik auf
dem Hintergrund der antiken Lehre von den sex res non naturales (circumfusa,
ingesta, gesta, applicata, excreta und percepta) und des aufklärerischen
Hygiene-Diskurses vgl. Sarasin 2009, 298 f. und Schipperges 1975 sowie (im
Blick auf Galen und Robert Burton) Dahlkvist 2005, allgemeiner Jordan 2006,
128-133; Lemke 2007, 405-434; Klass 2008 und Large 2008.
eine Undelicatesse gegen uns Denker —, im Grunde sogar bloss ein faustgrobes
Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!...] „Du sollst nicht erkennen" (AC 48,
KSA 6, 227, 12), lautet die Quintessenz, die N. aus der Sündenfallgeschichte in
Genesis 3 zieht: Priesterliches Interesse stehe hinter diesem Denkverbot, das
mit der Erfindung Gottes als Letztinstanz alle darüber hinausreichenden Fra-
gen abblocke. Allerdings ist im atheistischen Bekenntnis des sprechenden Ichs
278, 21-279. 3 nicht klar, auf welche Fragen Gott denn eigentlich eine „faust-
grobe" und damit unbrauchbare „Antwort" sein soll. Fragwürdigkeit ist für
das Ich, das hier Bausteine seiner Genealogie erschließt, offensichtlich auch
erstrebenswert als Verzicht auf vorauseilende, wenn nicht überhaupt auf alle
Antworten.
279, 3-9 Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das „Heil der
Menschheit" hängt, als an irgend einer Theologen-Curiosität: die Frage der
Ernährung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formuliren: „wie hast
gerade du dich zu ernähren, um zu deinem Maximum von Kraft, von Virtü im
Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?"] Über den Zusam-
menhang von Wachstum und Ernährung hat sich N. nach Ausweis der Lese-
spuren bei Rolph 1884, 96 f. kundig gemacht: „Gesteigerte Ausgaben, mögen
sie auf Wachsthum, auf Fortpflanzung, auf Energie der Arbeitsleistung, kurz
auf was immer beruhen, sind Folge von gesteigerter, von besserer und vollerer
Ernährung. [...] Man vergleiche einen Arbeiter, der sich rationell und solide
ernährt, mit dem, welcher den Alkohol dem Fleisch vorzieht, bei der Arbeit,
und man wird sich überzeugen, dass die gute Nahrung nicht nur die Kraft,
sondern auch die Arbeitsfreudigkeit, die Anregung zur Arbeit, zur Bethätigung
die Kraft, giebt. Die Zähigkeit, die Energie und der Unternehmungsgeist der
englischen und amerikanischen Nation werden mit Recht auf die rationellere
und bessere Ernährung zurückgeführt. Wohl ein jeder hat Momente gekannt,
wo er, im guten Ernährungszustand, und im Vollgefühle von Kraft und Gesund-
heit, sich nicht nur jeder Unternehmung gewachsen, sondern auch einen
Drang fühlte, diesem von innen wirkenden Drucke nachzugeben." (Rolph 1884,
96. Von N. mehrfach am Rand markiert; hier Kursiviertes von ihm unterstri-
chen.) Vgl. auch NL 1884, KSA 11, 27[72], 292 f. und im Anschluss an Fere 1888
NL 1888, KSA 13, 15[37], 429. Im Horizont der Darwinschen Evolutionstheorie
erörtert Nägeli 1884, 316-326 die „Wirkung der Ernährungseinflüsse" (von N.
mit einigen Anstreichungen versehen). Zur Interpretation von N.s Diätetik auf
dem Hintergrund der antiken Lehre von den sex res non naturales (circumfusa,
ingesta, gesta, applicata, excreta und percepta) und des aufklärerischen
Hygiene-Diskurses vgl. Sarasin 2009, 298 f. und Schipperges 1975 sowie (im
Blick auf Galen und Robert Burton) Dahlkvist 2005, allgemeiner Jordan 2006,
128-133; Lemke 2007, 405-434; Klass 2008 und Large 2008.