Stellenkommentar EH klug, KSA 6, S. 287 423
115-122) freilich nicht häufig vor; am prominentesten wohl in FW 98, wo es
aber gerade nicht um Caesar, sondern um seinen Mörder geht: „Das Schönste,
was ich zum Ruhme Shakespeare's, des Menschen, zu sagen wüsste, ist
diess: er hat an Brutus geglaubt und kein Stäubchen Misstrauens auf diese Art
Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragödie geweiht — sie wird jetzt
immer noch mit einem falschen Namen genannt" (KSA 3, 452, 2-7, vgl. weiteres
Material in KSA 14, 250 f.).
In Taines Shakespeare-Darstellung, in der sich nur vereinzelte Lesespuren
N.s finden, spielt Julius Caesar eine untergeordnete Rolle (Taine 1880, 3, 463-
548). Hingegen hebt ein Artikel von Henry Cochin in der Revue des deux mon-
des von 1885 Hamlet und Julius Caesar als Shakespeares Hauptwerke hervor
(Cochin 1885, 109). Dieser N. möglicherweise bekannte Artikel, der ausführlich
Shakespeares Herkunft behandelt, beschäftigt sich mit dem „paradoxe Baco-
nien" und gibt einen Überblick über die Bacon-Shakespeare-Debatte: Seit
die — wie Cochin 1885, 108 süffisant vermerkt, vgl. KSA 6, 287, 18 f. — in einer
Nervenheilanstalt endende Amerikanerin Delia Bacon (1811-1859) die These
populär gemacht hat, Shakespeare sei in Wirklichkeit ein Pseudonym des Phi-
losophen und Staatsmannes Francis Bacon (1561-1626), ebbte die Diskussion
über die mögliche Identität von Shakespeare und Bacon bis zu den damals
neuesten, auch deutsch erhältlichen Überlegungen des ebenfalls aus den USA
stammenden James Appleton-Morgan nicht ab: Die von Cochin 1885, 112 zitierte
Bibliographie von 1882 verzeichnete bereits 255 Bücher und Artikel zur Bacon-
Shakespeare-Debatte.
In der zweiten Auflage seines Bacon-Buches von 1875 diskutiert der von N.
gelesene Kuno Fischer zwar nicht wie in einer erst 1895 erschienenen Broschüre
Shakespeare und die Bacon-Mythen die Frage, ob Bacon unter Pseudonym die
Shakespeare-Dramen geschrieben haben könnte („keine Spur einer wechselseiti-
gen Berührung" — Fischer 1875, 289), stellt aber doch auffällige strukturelle
Parallelen fest: in beider Orientierung am Römer- statt am Griechentum, im
„Mangel geschichtlicher Weltanschauung" (ebd., 288), dann vor allem in
Shakespeares praktischer Verwirklichung eines von Bacon entworfenen Projek-
tes, nämlich einer „Naturgeschichte der Affecte" (ebd., 290): „Wie die Physik die
Körper seciren soll, um ihre verborgenen Eigenschaften und Theile zu entde-
cken, so soll die Ethik in die menschlichen Gemüthsverfassungen eindringen,
um deren geheime Dispositionen und Anlagen zu erkennen" (ebd.). Fischer
macht dies an der Art und Weise fest, wie Bacon ein „Charakterbild von Julius
Cäsar" entworfen habe, „in ähnlichem Geiste [...] als Shakspeare. Er sah in Cäsar
alles vereinigt, was an Größe und Adel, an Bildung und Reiz der römische
Genius zu vergeben hatte, er begriff diesen Charakter als den größten und
gefährlichsten, den die römische Welt haben konnte." (Ebd., 291).
115-122) freilich nicht häufig vor; am prominentesten wohl in FW 98, wo es
aber gerade nicht um Caesar, sondern um seinen Mörder geht: „Das Schönste,
was ich zum Ruhme Shakespeare's, des Menschen, zu sagen wüsste, ist
diess: er hat an Brutus geglaubt und kein Stäubchen Misstrauens auf diese Art
Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragödie geweiht — sie wird jetzt
immer noch mit einem falschen Namen genannt" (KSA 3, 452, 2-7, vgl. weiteres
Material in KSA 14, 250 f.).
In Taines Shakespeare-Darstellung, in der sich nur vereinzelte Lesespuren
N.s finden, spielt Julius Caesar eine untergeordnete Rolle (Taine 1880, 3, 463-
548). Hingegen hebt ein Artikel von Henry Cochin in der Revue des deux mon-
des von 1885 Hamlet und Julius Caesar als Shakespeares Hauptwerke hervor
(Cochin 1885, 109). Dieser N. möglicherweise bekannte Artikel, der ausführlich
Shakespeares Herkunft behandelt, beschäftigt sich mit dem „paradoxe Baco-
nien" und gibt einen Überblick über die Bacon-Shakespeare-Debatte: Seit
die — wie Cochin 1885, 108 süffisant vermerkt, vgl. KSA 6, 287, 18 f. — in einer
Nervenheilanstalt endende Amerikanerin Delia Bacon (1811-1859) die These
populär gemacht hat, Shakespeare sei in Wirklichkeit ein Pseudonym des Phi-
losophen und Staatsmannes Francis Bacon (1561-1626), ebbte die Diskussion
über die mögliche Identität von Shakespeare und Bacon bis zu den damals
neuesten, auch deutsch erhältlichen Überlegungen des ebenfalls aus den USA
stammenden James Appleton-Morgan nicht ab: Die von Cochin 1885, 112 zitierte
Bibliographie von 1882 verzeichnete bereits 255 Bücher und Artikel zur Bacon-
Shakespeare-Debatte.
In der zweiten Auflage seines Bacon-Buches von 1875 diskutiert der von N.
gelesene Kuno Fischer zwar nicht wie in einer erst 1895 erschienenen Broschüre
Shakespeare und die Bacon-Mythen die Frage, ob Bacon unter Pseudonym die
Shakespeare-Dramen geschrieben haben könnte („keine Spur einer wechselseiti-
gen Berührung" — Fischer 1875, 289), stellt aber doch auffällige strukturelle
Parallelen fest: in beider Orientierung am Römer- statt am Griechentum, im
„Mangel geschichtlicher Weltanschauung" (ebd., 288), dann vor allem in
Shakespeares praktischer Verwirklichung eines von Bacon entworfenen Projek-
tes, nämlich einer „Naturgeschichte der Affecte" (ebd., 290): „Wie die Physik die
Körper seciren soll, um ihre verborgenen Eigenschaften und Theile zu entde-
cken, so soll die Ethik in die menschlichen Gemüthsverfassungen eindringen,
um deren geheime Dispositionen und Anlagen zu erkennen" (ebd.). Fischer
macht dies an der Art und Weise fest, wie Bacon ein „Charakterbild von Julius
Cäsar" entworfen habe, „in ähnlichem Geiste [...] als Shakspeare. Er sah in Cäsar
alles vereinigt, was an Größe und Adel, an Bildung und Reiz der römische
Genius zu vergeben hatte, er begriff diesen Charakter als den größten und
gefährlichsten, den die römische Welt haben konnte." (Ebd., 291).