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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0462
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Stellenkommentar EH klug, KSA 6, S. 293-294 439

293, 29 (kommen)] Ergänzung der Herausgeber nach Podach 1961 (KSA 14,
478).
294, 5 f. Selbstsucht, Selbstzucht] Die Zusammenstellung von Selbst-
sucht und Selbstzucht hat nicht nur eine klangliche Pointe, sondern bringt
zum Ausdruck, dass N. eine Neubewertung der Selbstsucht intendiert. Das
deutsche Wort „Selbstsucht" verdankt sich der Shaftesbury-Übersetzung von
Johann Joachim Spalding, und zwar für die ursprünglich religiös verpönte self-
ishness, die Shaftesbury für die ärgste Sünde hielt. „Selbstsucht" hat in der
deutschen Philosophie einen entsprechend schlechten Ruf, sie gilt als maßlos
und pathologisch, so dass noch Schopenhauer in der Preisschrift über die
Grundlage der Moral (§ 14) zur Bezeichnung der „Haupt- und Grundtriebfeder
im Menschen, wie im Thiere" den Ausdruck „Egoismus" vorzieht: „Das Deut-
sche Wort Selbstsucht führt einen falschen Nebenbegriff von Krankheit mit
sich." (Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 196) Die Gleichsetzung von Selbstsucht
und Egoismus übernimmt N. (vgl. z. B. GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 33,
KSA 6, 131), unterwirft sich aber keineswegs Schopenhauers Wortvermeidungs-
strategie, sondern benutzt den Ausdruck „Selbstsucht" mit provozierendem
Stolz, erscheint die Verurteilung der Selbstsucht doch als Ausdruck eines her-
denmoralischen Ressentiments, vgl. NK KSA 6, 131, 27. Das, was man gemein-
hin „Egoismus" nennt, gilt einer so betitelten Notiz in NL 1888, KSA 13, 14[192],
378 f. (KGW IX 8, W II 5, 16, 1-28) zufolge als eine Lebensnotwendigkeit, nicht
als eine „Sache der Wahl oder gar des ,freien Willens"'. Für entsprechend
christlich-moralisch pervers hält N. es in EH Warum ich ein Schicksal bin 7,
„dass man in der tiefsten Nothwendigkeit zum Gedeihen, in der strengen
Selbstsucht (— das Wort schon ist verleumderisch! —) das böse Princip sucht;
dass man umgekehrt in dem typischen Abzeichen des Niedergangs und der
Instinkt-Widersprüchlichkeit, im ,Selbstlosen', im Verlust an Schwergewicht, in
der ,Entpersönlichung' und ,Nächstenliebe' (- Nächstensucht!) den höhe-
ren Werth, was sage ich! den Werth an sich sieht!..." (KSA 6, 372, 17-24).
In Za III Von den drei Bösen 2, KSA 4, 238, 23-26 gibt es eine explizite
Seligpreisung der Selbstsucht: „Und damals geschah es auch, [...] dass sein
Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus
mächtiger Seele quillt". In jener Passage, auf die der Text sich hier zurückbe-
zieht, heißt es nicht nur: „Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche
schenkende Liebe werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht."
(Za I Von der schenkenden Tugend 1, KSA 4, 98, 8-10) Vielmehr wird differen-
ziert: „Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die
immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht."
(Ebd., 98-11-13) Dies entspricht wiederum der Diagnose in GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 33, wonach es stets davon abhängt, um welche Form von
 
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