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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0465
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442 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

Fläche: kein Wunsch, kein Wünschchen selbst, kein Pläne-machen, kein
Anders-haben-wollen. Vielmehr bloß das, was von jenem heiligen Epicureer
uns verboten ist: die Sorge für den nächsten Tag, für Morgen... das ist mein
einziger Kunstgriff: ich weiß heute, was morgen geschehen soll." Mit dem „hei-
ligen Epicureer" ist Jesus gemeint; angespielt wird auf Matthäus 6, 34.
Das in 295, 4 bemühte Bild vom „glatten Meer", das kein „Verlangen" mehr
„kräuselt", entspricht der epikureisch-pyrrhoneischen Analogie von Meeres-
stille (yoÄqvÖTr|g) und Seelenruhe (Sextus Empiricus: Pyrrhonische Hypotypo-
sen I, 4, 10). N. stellt sich damit, wie in AC 54, in eine skeptische Tradition
und besetzt sie zugleich um — denn die Zukunft scheint im Unterschied zum
pyrrhoneischen Entscheidungs- und Zukunftsverzicht in seiner Verfügungs-
macht zu liegen, indem sie völlig von seinen Entscheidungen abhängig
gedacht wird. Entsprechend bleibt für das Ich kein Wunsch offen.
295, 10-12 So war ich zum Beispiel eines Tags Universitätsprofessor, — ich hatte
nie im Entferntesten an dergleichen gedacht, denn ich war kaum 24 Jahr alt.] N.
erhielt — noch unpromoviert — auf Betreiben seines Lehrers Friedrich Ritschl
am 12. 02. 1869 einen Ruf auf eine außerordentliche Professur für griechische
Sprache und Literatur der Universität Basel.
295, 14-16 dass meine erste philologische Arbeit, mein Anfang in jedem Sinne,
von meinem Lehrer Ritschl für sein „Rheinisches Museum" zum Druck verlangt
wurde] Nämlich Zur Geschichte der Theognideischen Spruchsammlung, in: Rhei-
nisches Museum 22 (1867), 161-200 (auch in KGW II 1, 1-58).
295, 16-21 Ritschl — ich sage es mit Verehrung — der einzige geniale
Gelehrte, den ich bis heute zu Gesicht bekommen habe. Er besass jene ange-
nehme Verdorbenheit, die uns Thüringer auszeichnet und mit der sogar ein Deut-
scher sympathisch wird: — wir ziehn selbst, um zur Wahrheit zu gelangen, noch
die Schleichwege vor.] In seinen sonstigen philosophischen Werken hat N. sei-
nen philologischen Mentor Friedrich Ritschl (1806-1876), den er schon wäh-
rend seiner ersten Bonner Semester kennengelernt hatte und dem er 1865 nach
Leipzig gefolgt war, niemals erwähnt: Ritschl, der N.s Philologenkarriere tat-
kräftig gefördert hat, stand schon N.s philosophischer Erstlingsschrift Die
Geburt der Tragödie ablehnend gegenüber (vgl. Ritschl an N., 14. 02. 1872, KGB
II 2, Nr. 285, S. 541-543).
Worin die thüringische Verdorbenheit für N. gelegen haben mag, steht
dahin. Man kann hierin eine Anspielung auf N.s eigene Kritik an der philologi-
schen Gelehrsamkeit in UB III SE 6, KSA 1, 394-404 sehen, wonach der
Gelehrte sich in einem steten Selbstwiderspruch zwischen der vorgeblichen
Wahrheitssuche und der faktisch viel weniger eindeutigen Motivation seines
Tuns befinde (vgl. Benne 2005b, 51, Anm. 82) und also verdorben sei, oder
 
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