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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0466
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Stellenkommentar EH klug, KSA 6, S. 295 443

auch auf die spezifische Ritschlsche Methode, die große Strenge und Detailbe-
wusstheit mit einem Sinn fürs Ganze und für die künstlerische Abrundung zu
verbinden wusste. Der Philologe Ritschlscher Prägung sucht nach Verderbnis-
sen in den überlieferten Texten und steht selbst unter Verderbnisverdacht. N.s
Spätphilosophie ist Schleichwegen ebensowenig abgeneigt wie die listige Phi-
lologie Ritschlscher Prägung; daher die nicht ironiefreie Reverenz vor dem gro-
ßen Lehrer. Vgl. NK 295, 25-32.
295, 21-23 Ich möchte mit diesen Worten meinen näheren Landsmann, den
klugen Leopold von Ranke, durchaus nicht unterschätzt haben...] Der
berühmte preußische Historiker Leopold (von) Ranke (1795-1886) wurde im
thüringischen Wiehe geboren, das rund 50 Kilometer westlich von N.s Geburts-
ort Röcken liegt. Wie N. erhielt Ranke in Schulpforta seine gymnasiale Bildung.
N.s gelegentliche Bemerkungen über seinen „Landsmann" sind nicht freund-
lich (vgl., wenn auch ohne namentliche Nennung Rankes, UB II HL 6, KSA 1,
285-295); er gilt N. als Inbegriff eines (trotz historiographischem Objektivitäts-
anspruch) die harten Tatsächlichkeiten verschleiernden Zurechtrückers der
Vergangenheit in religiöser Absicht, kurz als Inbegriff „protestantischer Histori-
ker" (GM III 19, KSA 5, 387, 10). Hier findet sich auch die Vorlage von 295, 21-
23: „Die Deutschen, anbei gesagt, haben den klassischen Typus der letzteren
zuletzt noch schön genug herausgebracht, — sie dürfen ihn sich schon zurech-
nen, zu Gute rechnen: nämlich in ihrem Leopold Ranke, diesem gebornen klas-
sischen advocatus jeder causa fortior, diesem klügsten aller klugen ,Thatsächli-
chen'." (KSA 5, 387, 13-18) Mit Ritschl trifft sich Ranke auch in der Gegnerschaft
zur antiquarischen Tradition und zu Theodor Mommsen. Man kann mit Benne
2005b, 56 darin einen Grund sehen, Ritschl und Ranke in einem Atemzug zu
nennen.

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295, 25-32 Man wird mich fragen, warum ich eigentlich alle diese kleinen und
nach herkömmlichem Urtheil gleichgültigen Dinge erzählt habe; ich schade mir
selbst damit, um so mehr, wenn ich grosse Aufgaben zu vertreten bestimmt sei.
Antwort: diese kleinen Dinge — Ernährung, Ort, Clima, Erholung, die ganze Casu-
istik der Selbstsucht — sind über alle Begriffe hinaus wichtiger als Alles, was man
bisher wichtig nahm.] Genau diese Wichtigkeit der minutiae hatte die Philologie
Ritschlscher Prägung, der sich N. verpflichtet fühlte, als methodisches Gebot
eingeschärft — daher auch die Ritschl-Reverenz in 295, 16-21. N. universalisiert
dieses philologisch-gelehrte Achtgeben auf das scheinbar Geringfügige zu
 
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