Stellenkommentar EH Bücher, KSA 6, S. 298-299 451
aus dem Gleichgewicht zu bringen vermöchte, gab mir ein Professor der Berliner
Universität wohlwollend zu verstehn, ich sollte mich doch einer andren Form
bedienen: so Etwas lese Niemand.] Vgl. zur Formulierung NK KSA 6, 35, 18.
Gemeint sein könnte der Theologe Julius Kaftan, den N. aus Basel kannte: NL
1888, KSA 13, 22[28], 597, 5-8 spricht noch von „Gelehrte[n] der Basler Universi-
tät", die ihm dies zu verstehen gegeben hätten. Kaftan war seit 1883 Professor
in Berlin, früher in Basel, und verbrachte im August 1888 einen dreiwöchigen
Aufenthalt in Sils-Maria, während dessen er mit N. häufig Wanderungen unter-
nahm (,,[e]ine sehr angenehme Gesellschaft ist mir der Berliner Professor Kaf-
tan"; „einer der sympathischsten Theologen, die ich kenne" — N. an Franziska
N., 22. 08. 1888, KSB 8, Nr. 1093, S. 395, Z. 22-29, vgl. zu Kaftans eigenen Zeug-
nissen über seine Begegnung mit N. auch Reich 2004, 101 f. und KGW III 7/3,
1, 532 f.). Ende Dezember 1888 wollte N. ihm GD schicken und notierte im
entsprechenden Briefentwurf: „Sie gehören, mit Ihrem Besuch in Sils von vori-
gem Sommer, zu den haarsträubenden Geschichten meines Lebens. Ich über-
sende Ihnen ein Buch, das in zehn Tagen Ihres Aufenthalts daselbst entstan-
den ist, nur um Ihnen einen Begriff davon zu geben, daß der Ort, den der
tiefste Geist aller Jahrtausende sich ausgewählt hat, keine Theologen verträgt."
(KSB 8, Nr. 1218, S. 556, Z. 3-8, vgl. die Erläuterungen in KGB III 7/3, 1, S. 533
sowie zu Kaftans Perspektive auf N. dessen einschlägige Publikationen: Kaftan
1897 u. 1906).
299, 18-33 Ein Aufsatz des Dr. V. Widmann im „Bund", über „Jenseits von Gut
und Böse", unter dem Titel „Nietzsche's gefährliches Buch", und ein Gesammt-
Bericht über meine Bücher überhaupt seitens des Herrn Karl Spitteler, gleichfalls
im Bund, sind ein Maximum in meinem Leben — ich hüte mich zu sagen wovon...
Letzterer behandelte zum Beispiel meinen Zarathustra als „höhere Stilübung",
mit dem Wunsche, ich möchte später doch auch für Inhalt sorgen; Dr. Widmann
drückte mir seine Achtung vor dem Muth aus, mit dem ich mich um Abschaffung
aller anständigen Gefühle bemühe. — Durch eine kleine Tücke von Zufall war
hier jeder Satz, mit einer Folgerichtigkeit, die ich bewundert habe, eine auf den
Kopf gestellte Wahrheit: man hatte im Grunde Nichts zu thun, als alle „Werthe
umzuwerthen", um, auf eine sogar bemerkenswerthe Weise, über mich den Nagel
auf den Kopf zu treffen — statt meinen Kopf mit einem Nagel zu treffen...] Vgl.
zu Widmanns Besprechung vom 16./17. September 1886 (Widmann 1994) NK
KSA 6, 136, 17-21. Carl Spittelers ausführliche Darstellung erschien unter dem
Titel „Friedrich Nietzsche aus seinen Werken" am 1. Januar 1888 in der Berner
Tageszeitung Der Bund, deren Feuilletonredakteur Widmann war (wieder abge-
druckt in KGB III 7/3, 2, S. 961-972). Zu Za meinte Spitteler u. a.: „Offenbar
sucht sich Nietzsche beständig selbst, ohne sich zu finden. Und er findet sich
nicht, weil man sich niemals im Denken, sondern einzig in Taten und Werken,
aus dem Gleichgewicht zu bringen vermöchte, gab mir ein Professor der Berliner
Universität wohlwollend zu verstehn, ich sollte mich doch einer andren Form
bedienen: so Etwas lese Niemand.] Vgl. zur Formulierung NK KSA 6, 35, 18.
Gemeint sein könnte der Theologe Julius Kaftan, den N. aus Basel kannte: NL
1888, KSA 13, 22[28], 597, 5-8 spricht noch von „Gelehrte[n] der Basler Universi-
tät", die ihm dies zu verstehen gegeben hätten. Kaftan war seit 1883 Professor
in Berlin, früher in Basel, und verbrachte im August 1888 einen dreiwöchigen
Aufenthalt in Sils-Maria, während dessen er mit N. häufig Wanderungen unter-
nahm (,,[e]ine sehr angenehme Gesellschaft ist mir der Berliner Professor Kaf-
tan"; „einer der sympathischsten Theologen, die ich kenne" — N. an Franziska
N., 22. 08. 1888, KSB 8, Nr. 1093, S. 395, Z. 22-29, vgl. zu Kaftans eigenen Zeug-
nissen über seine Begegnung mit N. auch Reich 2004, 101 f. und KGW III 7/3,
1, 532 f.). Ende Dezember 1888 wollte N. ihm GD schicken und notierte im
entsprechenden Briefentwurf: „Sie gehören, mit Ihrem Besuch in Sils von vori-
gem Sommer, zu den haarsträubenden Geschichten meines Lebens. Ich über-
sende Ihnen ein Buch, das in zehn Tagen Ihres Aufenthalts daselbst entstan-
den ist, nur um Ihnen einen Begriff davon zu geben, daß der Ort, den der
tiefste Geist aller Jahrtausende sich ausgewählt hat, keine Theologen verträgt."
(KSB 8, Nr. 1218, S. 556, Z. 3-8, vgl. die Erläuterungen in KGB III 7/3, 1, S. 533
sowie zu Kaftans Perspektive auf N. dessen einschlägige Publikationen: Kaftan
1897 u. 1906).
299, 18-33 Ein Aufsatz des Dr. V. Widmann im „Bund", über „Jenseits von Gut
und Böse", unter dem Titel „Nietzsche's gefährliches Buch", und ein Gesammt-
Bericht über meine Bücher überhaupt seitens des Herrn Karl Spitteler, gleichfalls
im Bund, sind ein Maximum in meinem Leben — ich hüte mich zu sagen wovon...
Letzterer behandelte zum Beispiel meinen Zarathustra als „höhere Stilübung",
mit dem Wunsche, ich möchte später doch auch für Inhalt sorgen; Dr. Widmann
drückte mir seine Achtung vor dem Muth aus, mit dem ich mich um Abschaffung
aller anständigen Gefühle bemühe. — Durch eine kleine Tücke von Zufall war
hier jeder Satz, mit einer Folgerichtigkeit, die ich bewundert habe, eine auf den
Kopf gestellte Wahrheit: man hatte im Grunde Nichts zu thun, als alle „Werthe
umzuwerthen", um, auf eine sogar bemerkenswerthe Weise, über mich den Nagel
auf den Kopf zu treffen — statt meinen Kopf mit einem Nagel zu treffen...] Vgl.
zu Widmanns Besprechung vom 16./17. September 1886 (Widmann 1994) NK
KSA 6, 136, 17-21. Carl Spittelers ausführliche Darstellung erschien unter dem
Titel „Friedrich Nietzsche aus seinen Werken" am 1. Januar 1888 in der Berner
Tageszeitung Der Bund, deren Feuilletonredakteur Widmann war (wieder abge-
druckt in KGB III 7/3, 2, S. 961-972). Zu Za meinte Spitteler u. a.: „Offenbar
sucht sich Nietzsche beständig selbst, ohne sich zu finden. Und er findet sich
nicht, weil man sich niemals im Denken, sondern einzig in Taten und Werken,