486 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
Schriften von 1888 — in EH vornehmlich das Kapitel „Warum ich ein Schicksal
bin" — bestimmt. Vgl. NK 310, 28-30.
310, 28-30 Einmal wird auf die christlichen Priester wie auf eine „tückische Art
von Zwergen", von „Unterirdischen" angespielt...] Die Stelle in GT 24, KSA 1, 154,
9-22, die N. offensichtlich aus dem Kopf zitiert, lautet: „Eines Tages wird er [sc.
der deutsche Geist] sich wach finden, in aller Morgenfrische eines ungeheuren
Schlafes: dann wird er Drachen tödten, die tückischen Zwerge vernichten und
Brünnhilde erwecken — und Wotan's Speer selbst wird seinen Weg nicht hem-
men können! [...] Das Schmerzlichste aber ist für uns alle — die lange Entwür-
digung, unter der der deutsche Genius, entfremdet von Haus und Heimat, im
Dienst tückischer Zwerge lebte. Ihr versteht das Wort — wie ihr auch, zum
Schluss, meine Hoffnungen verstehen werdet." Die Anspielung auf die christli-
chen Priester erscheint in dieser Evokation des Nibelungenstoffes zunächst
nicht sehr naheliegend. Mit den „tückischen Zwerge[n]" hatte N. in GT 24 offen-
sichtlich die Figuren des Alberich und v. a. des Mime aus der Nibelungensage
im Blick, die Wagner ab 1869 in seiner Ring-Tetralogie auftreten ließ. Siegfried
tötet in der nach ihm benannten, 1876 uraufgeführten Oper seinen zwergwüch-
sigen Ziehvater Mime und den Drachen Fafner, bevor er, Wotans Speer zer-
schlagend, zur Befreiung Brünnhildes fortschreitet. „Unterirdische" sind im
Ring die Nibelungen selbst (Wotan etwa beschreibt sie im ersten Aufzug des
Siegfried als in „der Erde Tiefe / tagen[d]" — Wagner 1911, 6, 102); Mime wird
von Alberich zu Beginn der dritten Szene des Rheingold ein „tückischer Zwerg"
genannt (Wagner 1911, 5, 234). Mime wiederum repräsentiert in seinem letzten
Monolog im ersten Aufzug des Siegfried (Wagner 1911, 6, 121 f.) jenen Geist der
Rache, den N. z. B. in AC 62, KSA 6, 253, 13 f. mit dem Christentum assoziieren
sollte. Daher konnte N. die Stelle aus GT 24 auf die „christlichen Priester"
beziehen.
N. lenkt durch seine retrospektive Erklärung der Anspielung in GT die Auf-
merksamkeit vom Wagnerkult der Frühschrift ab und auf die in den Schriften
von 1888 zentral gewordene Antichrist-Thematik hin. Die nachträgliche Neu-
ausrichtung der Tragödienschrift verrät sich in dem Zitat des angeblich in GT
vorkommenden Wortes „Unterirdischen" noch deutlicher. Während der Aus-
druck sich nämlich in GT nirgends findet, verwendet N. ihn zum Zweck der
Charakterisierung des Christentums und des christlichen Priesters mehrmals
im Antichrist: So bezeichnet er dort die Priester als „bleiche[.] unterirdische[.]
Blutsauger" (AC 49, KSA 6, 228, 28), „das Kreuz als Erkennungszeichen für
die unterirdischste Verschwörung" (AC 62, KSA 6, 253, 5 f.), den „Theologen-
Instinkt" als „die eigentlich unterirdische Form der Falschheit, die es auf
Erden giebt" (AC 9, KSA 6, 175, 26-28) und das Christentum als „den Einen
grossen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, heimlich, unterirdisch,
Schriften von 1888 — in EH vornehmlich das Kapitel „Warum ich ein Schicksal
bin" — bestimmt. Vgl. NK 310, 28-30.
310, 28-30 Einmal wird auf die christlichen Priester wie auf eine „tückische Art
von Zwergen", von „Unterirdischen" angespielt...] Die Stelle in GT 24, KSA 1, 154,
9-22, die N. offensichtlich aus dem Kopf zitiert, lautet: „Eines Tages wird er [sc.
der deutsche Geist] sich wach finden, in aller Morgenfrische eines ungeheuren
Schlafes: dann wird er Drachen tödten, die tückischen Zwerge vernichten und
Brünnhilde erwecken — und Wotan's Speer selbst wird seinen Weg nicht hem-
men können! [...] Das Schmerzlichste aber ist für uns alle — die lange Entwür-
digung, unter der der deutsche Genius, entfremdet von Haus und Heimat, im
Dienst tückischer Zwerge lebte. Ihr versteht das Wort — wie ihr auch, zum
Schluss, meine Hoffnungen verstehen werdet." Die Anspielung auf die christli-
chen Priester erscheint in dieser Evokation des Nibelungenstoffes zunächst
nicht sehr naheliegend. Mit den „tückischen Zwerge[n]" hatte N. in GT 24 offen-
sichtlich die Figuren des Alberich und v. a. des Mime aus der Nibelungensage
im Blick, die Wagner ab 1869 in seiner Ring-Tetralogie auftreten ließ. Siegfried
tötet in der nach ihm benannten, 1876 uraufgeführten Oper seinen zwergwüch-
sigen Ziehvater Mime und den Drachen Fafner, bevor er, Wotans Speer zer-
schlagend, zur Befreiung Brünnhildes fortschreitet. „Unterirdische" sind im
Ring die Nibelungen selbst (Wotan etwa beschreibt sie im ersten Aufzug des
Siegfried als in „der Erde Tiefe / tagen[d]" — Wagner 1911, 6, 102); Mime wird
von Alberich zu Beginn der dritten Szene des Rheingold ein „tückischer Zwerg"
genannt (Wagner 1911, 5, 234). Mime wiederum repräsentiert in seinem letzten
Monolog im ersten Aufzug des Siegfried (Wagner 1911, 6, 121 f.) jenen Geist der
Rache, den N. z. B. in AC 62, KSA 6, 253, 13 f. mit dem Christentum assoziieren
sollte. Daher konnte N. die Stelle aus GT 24 auf die „christlichen Priester"
beziehen.
N. lenkt durch seine retrospektive Erklärung der Anspielung in GT die Auf-
merksamkeit vom Wagnerkult der Frühschrift ab und auf die in den Schriften
von 1888 zentral gewordene Antichrist-Thematik hin. Die nachträgliche Neu-
ausrichtung der Tragödienschrift verrät sich in dem Zitat des angeblich in GT
vorkommenden Wortes „Unterirdischen" noch deutlicher. Während der Aus-
druck sich nämlich in GT nirgends findet, verwendet N. ihn zum Zweck der
Charakterisierung des Christentums und des christlichen Priesters mehrmals
im Antichrist: So bezeichnet er dort die Priester als „bleiche[.] unterirdische[.]
Blutsauger" (AC 49, KSA 6, 228, 28), „das Kreuz als Erkennungszeichen für
die unterirdischste Verschwörung" (AC 62, KSA 6, 253, 5 f.), den „Theologen-
Instinkt" als „die eigentlich unterirdische Form der Falschheit, die es auf
Erden giebt" (AC 9, KSA 6, 175, 26-28) und das Christentum als „den Einen
grossen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, heimlich, unterirdisch,