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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0526
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Stellenkommentar EH UB, KSA 6, S. 319 503

über Renan vernehmen lassen: „Je n'etonnerai aucun de ceux qui ont traverse
les etudes de nos lycees, en affirmant que la precoce impiete des libres pens-
eurs en tunique a pour point de depart quelque faiblesse de la chair accompag-
nee d'une horreur de l'aveu au confessionnal." (Bourget 1883, 80. „Ich würde
keinen, der die Ausbildung in unseren Gymnasien durchlaufen hat, in Staunen
versetzen, wenn ich sagen würde, dass die frühzeitige Gottlosigkeit der in Tuni-
ken gekleideten freien Denker als Ausgangspunkt eine gewisse Schwäche des
Fleisches habe, begleitet von der Angst vor dem Geständnis im Beichtstuhl.")
In 319, 6-17 gibt N. eine negative Bestimmung des eigenen Wollens gegen-
über den zu zahmen „libres penseurs": Immoralismus, Verzicht auf „Ideale"
und „moderne Ideen" sind die einschlägigen Stichworte. Im zweiten Haupt-
stück von Jenseits von Gut und Böse, das den Titel „der freie Geist" trägt,
bekennen sich die „freien Geister" überdies noch als „Freunde der Einsam-
keit" (JGB 44, KSA 5, 63, 6): „Was Wunder, dass wir ,freien Geister' nicht
gerade die mittheilsamsten Geister sind? dass wir nicht in jedem Betrachte zu
verrathen wünschen, wovon ein Geist sich frei machen kann und wohin er
dann vielleicht getrieben wird? Und was es mit der gefährlichen Formel ,jen-
seits von Gut und Böse' auf sich hat, mit der wir uns zum Mindesten vor
Verwechslung behüten: wir sind etwas Anderes als ,libres-penseurs', ,liberi
pensatori', ,Freidenker' und wie alle diese braven Fürsprecher der ,modernen
Ideen' sich zu benennen lieben." (Ebd., 62, 6-14).
Nach diesen eher spärlichen Auskünften gehört es gerade zum Wesen der
„freien Geister", Auskünfte nur höchst sparsam zu erteilen. Strukturell auffällig
ist der entschiedene Wille, sich von allem abzugrenzen, mit dem man allenfalls
verwechselt werden könnte. Die Schrift gegen Strauß muss nun als Beweis
dafür herhalten, dass N. sich bereits sehr früh von der nicht hinreichend radi-
kalen Art der Freigeisterei distanziert habe. In ähnlicher Weise will N. Ende
1888 mit dem Collagen-Werk Nietzsche contra Wagner beweisen, dass er sich
bereits sehr früh von Wagner und seiner Kunstersatzreligion distanziert habe.
Der Gestus ist derselbe und soll besagen: N. war immer schon anders als all
die anderen.

3
318, 31-321, 6 In der Oktober-Fassung lautete die Vorstufe des Textes, der in
der vorliegenden endgültigen Fassung am Ende von EH UB 2 und in EH UB 3
steht: „19 Schluß des Abschnitts 18 / Die Nachwirkung dieser Schrift ist
geradezu unschätzbar in meinem Leben. Ich hatte, ohne sie zu kennen, eine
Maxime Stendhals in praxis übersetzt: seinen Eintritt in die Gesellschaft mit
 
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