506 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
Von Schopenhauer, nicht von N. selbst wurde in UB III SE 7 also gesagt,
er habe sich der kantischen, christlichen oder buddhistischen Begrifflichkeit
bedient, um seine Urerfahrung zum Ausdruck zu bringen; die Wahl dieser
„Instrumente" erscheint aber als arbiträr. Was N. damals meinte für Schopen-
hauer feststellen zu können — und 1888 noch bei seinem „Typus des Erlösers"
feststellen wird (vgl. AC 32, KSA 6, 204, lf.) —, gibt er in 319, 31-320, 5 als
ein listiges Reden über sich selbst aus: Er habe sich Schopenhauers als eines
Instruments bedient, während er in UB III SE 7 gerade dargestellt hat, wie
sich Schopenhauer überkommener Instrumentarien bedient hatte. (Schon in
seinem Brief an Cosima Wagner hat N. am 19. 12. 1876 zu verstehen gegeben,
dass er der Lehre Schopenhauers nicht mehr beipflichten könne; als er über
ihn geschrieben habe, habe ihm nur „am Menschen" gelegen — KSB 5,
Nr. 581, S. 210, Z. 45 f.). In EH MA 6, KSA 6, 327 f. stellt er es als eine wiederholte
Strategie seines Frühwerks dar, das Wort „Ich" vermieden zu haben, um sich
stattdessen hinter den Masken anderer — Schopenhauer, Wagner, Ree — mit
einer „instinktiven Arglist" zu verbergen und unter diesen Masken das Eigene
zu artikulieren.
320, 6 Semiotik] Vgl. NK KSA 6, 27, 34-28, 1 und NK KSA 6, 98, 17-22 sowie
Groddeck 1991, 2, 210, Fn. 108.
320, 22-321, 6 Wie ich den Philosophen verstehe, als einen furchtbaren Explosi-
onsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist, wie ich meinen Begriff „Philosoph" meilen-
weit abtrenne von einem Begriff, der sogar noch einen Kant in sich schliesst, nicht
zu reden von den akademischen „ Wiederkäuern" und andren Professoren der
Philosophie: darüber giebt diese Schrift eine unschätzbare Belehrung, zugegeben
selbst, dass hier im Grunde nicht „Schopenhauer als Erzieher", sondern sein
Gegensatz, „Nietzsche als Erzieher", zu Worte kommt. — In Anbetracht, dass
damals mein Handwerk das eines Gelehrten war, und, vielleicht auch, dass ich
mein Handwerk verstand, ist ein herbes Stück Psychologie des Gelehrten nicht
ohne Bedeutung, das in dieser Schrift plötzlich zum Vorschein kommt: es drückt
das Distanz-Gefühl aus, die tiefe Sicherheit darüber, was bei mir Auf-
gabe, was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann. Es ist meine
Klugheit, Vieles und vielerorts gewesen zu sein, um Eins werden zu können, —
um zu Einem kommen zu können. Ich musste eine Zeit lang auch Gelehrter
sein. —] Das Druckmanuskript zu EH enthielt die folgende Vorstufe: „Was der
Philosoph sein soll, was ich damals durchaus nicht war, ich schrieb es mit
ungeduldiger Härte gegen mich an die Wand. — Will man eine Probe davon,
wie ich mich selber damals empfand, entartet beinahe zum Gelehrten, ein
Bücherwurm mehr, der die antiken Metriker mit Akribie und schlechten Augen
um- und umwendete hindurchkroch, in ein Handwerk eingesperrt verbohrt,
Von Schopenhauer, nicht von N. selbst wurde in UB III SE 7 also gesagt,
er habe sich der kantischen, christlichen oder buddhistischen Begrifflichkeit
bedient, um seine Urerfahrung zum Ausdruck zu bringen; die Wahl dieser
„Instrumente" erscheint aber als arbiträr. Was N. damals meinte für Schopen-
hauer feststellen zu können — und 1888 noch bei seinem „Typus des Erlösers"
feststellen wird (vgl. AC 32, KSA 6, 204, lf.) —, gibt er in 319, 31-320, 5 als
ein listiges Reden über sich selbst aus: Er habe sich Schopenhauers als eines
Instruments bedient, während er in UB III SE 7 gerade dargestellt hat, wie
sich Schopenhauer überkommener Instrumentarien bedient hatte. (Schon in
seinem Brief an Cosima Wagner hat N. am 19. 12. 1876 zu verstehen gegeben,
dass er der Lehre Schopenhauers nicht mehr beipflichten könne; als er über
ihn geschrieben habe, habe ihm nur „am Menschen" gelegen — KSB 5,
Nr. 581, S. 210, Z. 45 f.). In EH MA 6, KSA 6, 327 f. stellt er es als eine wiederholte
Strategie seines Frühwerks dar, das Wort „Ich" vermieden zu haben, um sich
stattdessen hinter den Masken anderer — Schopenhauer, Wagner, Ree — mit
einer „instinktiven Arglist" zu verbergen und unter diesen Masken das Eigene
zu artikulieren.
320, 6 Semiotik] Vgl. NK KSA 6, 27, 34-28, 1 und NK KSA 6, 98, 17-22 sowie
Groddeck 1991, 2, 210, Fn. 108.
320, 22-321, 6 Wie ich den Philosophen verstehe, als einen furchtbaren Explosi-
onsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist, wie ich meinen Begriff „Philosoph" meilen-
weit abtrenne von einem Begriff, der sogar noch einen Kant in sich schliesst, nicht
zu reden von den akademischen „ Wiederkäuern" und andren Professoren der
Philosophie: darüber giebt diese Schrift eine unschätzbare Belehrung, zugegeben
selbst, dass hier im Grunde nicht „Schopenhauer als Erzieher", sondern sein
Gegensatz, „Nietzsche als Erzieher", zu Worte kommt. — In Anbetracht, dass
damals mein Handwerk das eines Gelehrten war, und, vielleicht auch, dass ich
mein Handwerk verstand, ist ein herbes Stück Psychologie des Gelehrten nicht
ohne Bedeutung, das in dieser Schrift plötzlich zum Vorschein kommt: es drückt
das Distanz-Gefühl aus, die tiefe Sicherheit darüber, was bei mir Auf-
gabe, was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann. Es ist meine
Klugheit, Vieles und vielerorts gewesen zu sein, um Eins werden zu können, —
um zu Einem kommen zu können. Ich musste eine Zeit lang auch Gelehrter
sein. —] Das Druckmanuskript zu EH enthielt die folgende Vorstufe: „Was der
Philosoph sein soll, was ich damals durchaus nicht war, ich schrieb es mit
ungeduldiger Härte gegen mich an die Wand. — Will man eine Probe davon,
wie ich mich selber damals empfand, entartet beinahe zum Gelehrten, ein
Bücherwurm mehr, der die antiken Metriker mit Akribie und schlechten Augen
um- und umwendete hindurchkroch, in ein Handwerk eingesperrt verbohrt,