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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0532
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Stellenkommentar EH MAM, KSA 6, S. 322 509

Gewebes, die Verwendung jedes einzelnen Instruments in seiner spezifischen
Farbe, in der an ihm naturgemäßesten und wohlthuendsten Sprache, der
sparsamste Gebrauch der Instrumente überhaupt, die Delikatesse an
Stelle dumpfer und unterirdischer Instinkt-Reize, — das lernte ich später an
der Orchestration Bizet's begreifen. — Genug, ich reiste mitten drin für Ein
Paar Wochen ab, sehr plötzlich, mich bei Wagner nur mit einem Telegramm
von etwas fatalistischem Ausdruck entschuldigend. In einem tief in Wäldern
verborgenen kleinen Ort des Böhmerwaldes, Klingenbrunn, trug ich meine
Melancholie wie eine Krankheit mit mir herum — und schrieb von Zeit zu
Zeit, unter dem Gesammt-Titel ,die Pflugschar' einen Satz in mein Taschen-
buch, lauter harte Psychologica, die sich vielleicht noch in ,Menschliches,
Allzumenschliches' wiederfinden lassen. Es war nicht ein Bruch bloß mit der
Wagnerei, was damals sich bei mir entschied, — ich empfand eine radikale
Nöthigung, den vielen gefährlichen ,Idealismus', den ich durch schlechte
Gesellschaft in mich eingeschleppt hatte, mit Hülfe einer Realitäts-Kur los-
zukommen eine Gesamt-Abirrung meines Instinkts, von der meine Freund-
sehafMnitWagner mein Fehlgriff mit Bayreuth und Wagner bloß ein Zeichen
war, ich sah ein, daß es die höchste Zeit sei, mich auf mich zurückzubesinnen.
Diese Umstimmung meiner ganzen Natur bis in ihre Gründe, das immer tiefere
Gefühl davon, wie viel Zeit bereits verschwendet sei, wie nutzlos, wie willkür-
lich und verbraucht sich meine zweiunddreißig Jahre, mein Leben, an meinen
Aufgaben gemessen, ausnahmen, der Zweifel an mir, der Zweifel an meinem
Recht auf meine Aufgabe, der Ausblick in die vollkommne Öde und Vereinsa-
mung — das brachte als Ganzes auch eine Erschütterung meiner Gesundheit
zu Wege. Die Ungeduld mit mir überfiel mich. Man ist in dem Maasse
gesund, als man mit sich im Einklang Geduld hat. — Damals ließ die Wider-
standskraft des Instinkts bei mir nach, und, Schritt für Schritt, kam jene vom
Vater her vererbte Degenerescenz zum Übergewicht über die gesündere und
lebensvollere Mitgift in meiner Natur. Was stark blieb, das war jene rigoröse
Selbstzucht gegen allen ,höheren Schwindel', ,Idealismus', ,schönes Gefühl',
und andre Femininismen Weiblichkeiten. Ein Winter in Sorrent, in dem der
größte Theil von ,Menschliches, Allzumenschliches' niedergeschrieben wurde,
trotz der nächsten zeitweiligen Nachbarschaft von Richard Wagner und Fami-
lie; als Ergebniß der Beweis, daß ich, wie sehr auch immer physiologisch
unterliegend, wenigstens im Geistigen den Willen zur Genesung, zum Leben,
zur starken und rücksichtslosen Bejahung der Realität bei mir zum Sieg
gebracht hatte. — Das Buch wurde, unter bedeutend verschlechterten Verhält-
nissen, in Basel zu Ende gebracht. Herr Heinrich Köselitz Peter Gast damals
daselbst an der Universität studirend und mir sehr zugethan, hat im Grunde
das Buch auf dem Gewissen. Ich diktirte mit verbundenem Kopf aus alten Nie-
 
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