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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0558
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Stellenkommentar EH Zarathustra, KSA 6, S. 335 535

maestro und Freunde Peter Gast, einem gleichfalls „ Wiedergebornen", dass der
Phönix Musik mit leichterem und leuchtenderem Gefieder, als er je gezeigt, an
uns vorüberflog.] N. hielt sich vom 3. Mai bis zum 2. Juli 1881 in dem von
Köselitz ausgewählten Gebirgsort am Fuße der Kleinen Dolomiten auf, um mit
diesem zusammen sein „Buch [sc. Morgenröthe] zu corrigiren und Wald Berg
und Freundschaft zu genießen" (N. an Franziska und Elisabeth N., 28. 04. 1881,
KSB 6, Nr. 107, S. 87, Z. 4 f.). Von dort berichtete er, er habe die geheime Ver-
wandtschaft zwischen Köselitz' Musik und seiner eigenen Philosophie ent-
deckt: „Zu meinen schönsten und überraschendsten Erlebnissen gehört die
Entdeckung, die ich hier mache, wo ich Freund Köselitzens komische Oper [sc.
Scherz, List und Rache] kennen lerne: er ist ein Musiker ersten Ranges und
was er kann, kann ihm unter den Lebenden keiner nachmachen. Dabei genieße
ich noch etwas Persönliches: es ist gerade die Musik, die zu meiner Philoso-
phie gehört." (N. an Franziska und Elisabeth N., 18. 05. 1881, KSB 6, Nr. 109,
S. 88, Z. 8-14, vgl. auch N. an Overbeck, 18. 05. 1881, KSB 6, Nr. 110, S. 89)
Noch 1888 schrieb N. über Köselitz, den er seinen „,Schüler"' nannte, dass er
„im engsten Sinne, aus [s]einer Philosophie gewachsen" sei, „wie Niemand
sonst" (N. an Hans von Bülow, 10. 08. 1888, KSB 8, Nr. 1085, S. 384, Z. 18-20).
Ein Grund, weshalb N. den „Klein-Komponisten Köselitz-Gast" (Ross 1989,
572, vgl. C. Wagner 1988, 4, 1106), der zeit seines Lebens erfolglos blieb und
von der Nachwelt vergessen wurde, mit derartigen Talenten ausstaffierte, mag
in N.s Bedürfnis gelegen haben, sich nach der seit 1876 vollzogenen Distanzie-
rung von Wagner durch eine neue Musikästhetik zu profilieren, zu deren
exemplarischer Verkörperung er Köselitz bestimmte. Unter dem Pseudonym
Peter Gast stilisierte N. Köselitz zum künstlerischen Anti-Wagner. Als Wagner
starb, ließ er Köselitz am 19. 02. 1883 wissen: „auch Ihnen hat sich mit diesem
Tode der Himmel aufgehellt. Es ist jetzt Verschiedenes möglich zB. daß wir
noch einmal im Bayreuther ,Tempel' sitzen, um Sie zu hören" (KSB 6, Nr. 381,
S. 334, Z. 40-43). N. feierte die Musik seines Freundes in den Jahren nach
Wagners Tod als musikalische Antithese zu dessen decadence-Ästhetik und als
musikalische Transposition seines eigenen Denkens. Gasts Oper Der Löwe von
Venedig — „die beste moderne Oper [...], die einzige, die von W(agner)-Deutsch-
land frei ist" (NL 1888, KSA 13, 15[96], S. 463) — erkor N. zum Inbegriff jener
neuen Musik, die seiner Philosophie in Abgrenzung zum Wagnerianismus Aus-
druck verleihen sollte. So pries er Hans von Bülow den Löwen von Venedig als
ein Werk an, in dem „alle Eigenschaften im Vordergrunde" seien, „die heute,
skandalös, aber thatsächlich, der Musik abhanden kommen. Schönheit,
Süden, Heiterkeit, die vollkommen gute, selbst muthwillige Laune des allerbes-
ten Geschmacks — die Fähigkeit, aus dem Ganzen zu gestalten, fertig zu wer-
den und nicht zu fragmentarisiren (vorsichtiger Euphemismus für ,wag-
nerisiren')" (10. 08. 1888, KSB 8, Nr. 1085, S. 384, Z. 9-15).
 
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