Stellenkommentar EH Zarathustra, KSA 6, S. 339 553
der Menschheit Angehöriges und aus den psychischen Möglichkeiten unserer
schwächlich-vernünftigen Epoche Herausfallendes zu empfinden. Und dabei
beschreibt er ,in Wahrheit' — aber was ist Wahrheit: das Erlebnis oder die
Medizin? — einen verderblichen Reizungszustand, der dem paralytischen Kol-
laps höhnend vorangeht." (Mann 2009b, 19.1, 192 f.; zu einem weiteren Zeugnis
von Manns EH-Rezeption vgl. NK 342, 29-32).
Mit unzweideutigem Enthusiasmus reagierten hingegen Robert Musil und
Stefan Zweig auf N.s Inspirationsbekundungen in EH: Musil fand „Momente
-»Ansätze zum Sthenisch-Manischem« der Inspiration" „[wjunderbar"
beschrieben (Tagebuch, 13. 12. 1911, Musil 1976, 1, 251, vgl. Hillebrand 1978, 1,
169). Zweig übertrug das von N. hinsichtlich der Entstehung des Za geschilderte
Inspirationserlebnis auf N.s frenetische Produktivität des Herbstes 1888, in
deren Verlauf EH entstand. Er sah somit in N.s Beschreibung der Inspiration,
in jener „mit Blitzen gehämmerte[n] Prosaseite" (Zweig 1988, 264) selbst wie-
derum das Zeugnis eines beispiellosen Ergriffenseins vom furor poeticus: „Die
fünf Monate des Herbstes von 1888, Nietzsches letzte bildnerische Zeit, stehen
einzig da in den Annalen schöpferischer Produktivität. Vielleicht ist nie in
einem so engen Zeitraum von einem einzigen Genius so viel, so intensiv, so
ununterbrochen, so hyperbolisch und radikal gedacht worden; nie war ein
irdisches Gehirn so überströmt von Ideen, so durchschossen von Bildern, so
umwogt von Musik als dies schon vom Schicksal gezeichnete. Für diese Fülle,
für diese rauschhaft niederstürzende Ekstase, für diesen fanatischen Furor des
Schaffens hat die Geistesgeschichte aller Zeiten kein Gegenspiel in ihrer unend-
lichen Weite [...]. Nie hat ein Gehirn so dauernde Hochspannung so elektrisch
weitergetragen bis ins letzte zuckende Wort, nie haben mit so magischen
Geschwindigkeiten Assoziationen sich gegliedert; Vision ist zugleich schon
Wort, Idee vollendete Klarheit, und trotz dieser gigantischen Fülle spürt man
nichts von Mühe, von Anstrengung — Schaffen hat längst aufgehört ein Tun,
eine Arbeit zu sein, sie ist bloß ein laisser-faire, ein Geschehenlassen höherer
Gewalten. [...] Der Geist wird hier überflutet, es wird ihm Gewalt, Elementarge-
walt angetan. ,Der Zarathustra überfiel mich' — immer ist es ein Überfallenwer-
den, ein Wehrloswerden vor einem Übermächtigen, das er berichtet — als sei
irgendwo in seinen Sinnen ein geheimer Staudamm der Vernünftigkeit, der
organischen Abwehr vor einer Flut eingestürzt, die nun sturzbachhaft über den
ohnmächtig, den herrlich Willenlosen hereinstürzt. ,Es ist vielleicht überhaupt
niemals etwas aus einem gleichen Überfluß von Kraft heraus getan worden',
sagt Nietzsche ekstatisch von jenen letzten Werken [tatsächlich behauptet N.
dies ja vielmehr in Bezug auf Za: vgl. EH Za 6, KSA 6, 343, 3f., A.U.S.]; aber
mit keinem Worte wagt er zu sagen, daß es seine eigene Kraft war, die ihn
beschenkt und zersprengt. Im Gegenteil, er fühlt sich trunkenfromm nur als
der Menschheit Angehöriges und aus den psychischen Möglichkeiten unserer
schwächlich-vernünftigen Epoche Herausfallendes zu empfinden. Und dabei
beschreibt er ,in Wahrheit' — aber was ist Wahrheit: das Erlebnis oder die
Medizin? — einen verderblichen Reizungszustand, der dem paralytischen Kol-
laps höhnend vorangeht." (Mann 2009b, 19.1, 192 f.; zu einem weiteren Zeugnis
von Manns EH-Rezeption vgl. NK 342, 29-32).
Mit unzweideutigem Enthusiasmus reagierten hingegen Robert Musil und
Stefan Zweig auf N.s Inspirationsbekundungen in EH: Musil fand „Momente
-»Ansätze zum Sthenisch-Manischem« der Inspiration" „[wjunderbar"
beschrieben (Tagebuch, 13. 12. 1911, Musil 1976, 1, 251, vgl. Hillebrand 1978, 1,
169). Zweig übertrug das von N. hinsichtlich der Entstehung des Za geschilderte
Inspirationserlebnis auf N.s frenetische Produktivität des Herbstes 1888, in
deren Verlauf EH entstand. Er sah somit in N.s Beschreibung der Inspiration,
in jener „mit Blitzen gehämmerte[n] Prosaseite" (Zweig 1988, 264) selbst wie-
derum das Zeugnis eines beispiellosen Ergriffenseins vom furor poeticus: „Die
fünf Monate des Herbstes von 1888, Nietzsches letzte bildnerische Zeit, stehen
einzig da in den Annalen schöpferischer Produktivität. Vielleicht ist nie in
einem so engen Zeitraum von einem einzigen Genius so viel, so intensiv, so
ununterbrochen, so hyperbolisch und radikal gedacht worden; nie war ein
irdisches Gehirn so überströmt von Ideen, so durchschossen von Bildern, so
umwogt von Musik als dies schon vom Schicksal gezeichnete. Für diese Fülle,
für diese rauschhaft niederstürzende Ekstase, für diesen fanatischen Furor des
Schaffens hat die Geistesgeschichte aller Zeiten kein Gegenspiel in ihrer unend-
lichen Weite [...]. Nie hat ein Gehirn so dauernde Hochspannung so elektrisch
weitergetragen bis ins letzte zuckende Wort, nie haben mit so magischen
Geschwindigkeiten Assoziationen sich gegliedert; Vision ist zugleich schon
Wort, Idee vollendete Klarheit, und trotz dieser gigantischen Fülle spürt man
nichts von Mühe, von Anstrengung — Schaffen hat längst aufgehört ein Tun,
eine Arbeit zu sein, sie ist bloß ein laisser-faire, ein Geschehenlassen höherer
Gewalten. [...] Der Geist wird hier überflutet, es wird ihm Gewalt, Elementarge-
walt angetan. ,Der Zarathustra überfiel mich' — immer ist es ein Überfallenwer-
den, ein Wehrloswerden vor einem Übermächtigen, das er berichtet — als sei
irgendwo in seinen Sinnen ein geheimer Staudamm der Vernünftigkeit, der
organischen Abwehr vor einer Flut eingestürzt, die nun sturzbachhaft über den
ohnmächtig, den herrlich Willenlosen hereinstürzt. ,Es ist vielleicht überhaupt
niemals etwas aus einem gleichen Überfluß von Kraft heraus getan worden',
sagt Nietzsche ekstatisch von jenen letzten Werken [tatsächlich behauptet N.
dies ja vielmehr in Bezug auf Za: vgl. EH Za 6, KSA 6, 343, 3f., A.U.S.]; aber
mit keinem Worte wagt er zu sagen, daß es seine eigene Kraft war, die ihn
beschenkt und zersprengt. Im Gegenteil, er fühlt sich trunkenfromm nur als