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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0578
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Stellenkommentar EH Zarathustra, KSA 6, S. 339-340 555

werde ich auch alle meine menschlichen Beziehungen, die einstweilen etwas
verwirrt sind, wieder in Ordnung gebracht haben, — mit Dir anzufangen. [...]
Die ,ewige Stadt'! Ich bin ihr nicht gut gesinnt und komme nicht ihretwegen
nach Rom." (N. an Elisabeth N., 27. 04. 1883, KSB 6, Nr. 408, S. 368 f., Z. 23-
34) Vom 4. Mai bis zum 14. Juni 1883 blieb N. in Rom (vgl. Janz 1978, 2, 193-
195); er wohnte bei dem Schweizer Maler Max Müller, Piazza Barberini 56,
ultimo piano. Die Versöhnung mit seiner Schwester erfolgte bald (vgl. Elisabeth
N. in einem Schreiben an ihre Mutter: KSA 15, 135 f.), doch ebenso bald wusste
N.: „Rom ist kein Ort für mich — so viel steht fest. Ich nehme diesen Monat
hin als eine menschliche Erquickung und ein Ausruhen." (N. an Köse-
litz, 10. 05. 1883, KSB 6, Nr. 415, S. 374, Z. 17-19) Die Stadt, in der das Haupt
der (katholischen) Christenheit residierte, schickte sich eben nicht für einen
Besucher mit N.s antichristlicher Gesinnung — und überdies hatte N. dort Lou
von Salome kennengelernt, die er 1883, so gut es ging, zu vergessen suchte.
340, 24-30 ich wollte nach Aquila, dem Gegenbegriff von Rom, aus Feind-
schaft gegen Rom gegründet, wie ich einen Ort dereinst gründen werde, die Erin-
nerung an einen Atheisten und Kirchenfeind comme il faut, an einen meiner
Nächstverwandten, den grossen Hohenstaufen-Kaiser Friedrich den Zweiten.
Aber es war ein Verhängniss bei dem Allen: ich musste wieder zurück.] Nach
dem Wort „zurück" stand im Druckmanuskript folgender von N. gestrichener
Text: „In Rom erlebte ich's, daß man mir den Parsifal in's Gesicht lobte —
ich habe zwei Mal Lachanfälle darnach gehabt. —" (KSA 14, 496).
In der ersten Junihälfte 1883 suchte N. in Süditalien nach einem geeigneten
Aufenthaltsort für den Sommer. Er dachte an Casamicciola auf Ischia, suchte
die Monti Lepini und Aquila in den Abruzzen auf. Doch seine Bemühungen
blieben erfolglos; auf der Rückreise klagte er der Schwester am 10. 06. 1883
seine Enttäuschung: „Mißrathen! Scirocco hielt sein flammendes Schwert über
Aquila. Die Gegend nichts für mich! —" (KSB 6, Nr. 422, S. 382) Von Südita-
lien reiste N. daraufhin über Bellagio am Comer See nach Sils-Maria, wo er,
wie bereits 1881 und fortan jedes Jahr bis 1888, die Sommermonate verbrachte.
Die Stadt Aquila (heute L'Aquila) wurde 1240 von dem Staufenkaiser Fried-
rich II. (1194-1250) als Vorposten gegen das päpstliche Rom gegründet. Im
Zuge des jahrzehntelangen Kampfes zwischen Imperium und Sacerdotium
hatte Papst Gregor IX. zuvor über Friedrich II. den Kirchenbann verhängt und
den verhassten Hohenstaufer als „Antichrist" diffamiert. N. spielt somit auch
auf seine Selbstinszenierung als Antichrist an, wenn er seine Verbundenheit
mit dem kaiserlichen Namensvetter kundtut. Geradezu programmatisch stili-
siert sich N. in EH zum Nachfolger jener großen deutschen Herrscher, die sei-
nen Vornamen trugen und wie er gegen die vorherrschenden Vorurteile ihrer
Zeit ankämpften (vgl. NK 337, 9-13). Friedrich II., von Jacob Burckhardt als der
 
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